Puna
Puna
Puna
San Antonio de los Cobres
Lago de Brealito
Valles Calchaquíes
Seclantás
Argentiniens Puna
"La Puna deja huellas" oder "Im Höhenrausch"
- Teil 2 von Cachi bis Tolar Grande -
Tag 5 – Cachi (Tacuil)
Weinprobe, in dem bis vor kurzem höchst gelegenen Weinanbaugebiet, ein wütendes Langohr und gefiederte Hubschrauber in ihrem natürlichem Lebensraum
Heute steht ein Ziel auf dem Programm, über das ich weder in Reiseführern gelesen hatte, noch hatte ich zuvor überhaupt jemals davon gehört: Tacuil. Als ich im Vorfeld mit meiner Agentur in Argentinien korrespondierte und fragte, was ich mir am heutigen Tag anschauen könnte, schlug man mir das Weingut Tacuil vor. Alleine die Fahrt in dieses Tal wäre diesen Abstecher wert, so oder ähnlich, las ich in der E-Mail. Ich schaute in meinen Atlas, wo genau das Ziel liegen würde. Mir gefiel dieser Vorschlag und so fand sich zusätzlich eine Weinprobe inkl. Mittagessen auf meinem Routenplan wieder.
Kurz vor Seclantás fährt mein Guide einen kleinen Umweg zu einer Poncho-Weberei, nachdem er mich zuvor fragte, ob ich mir diese anschauen möchte. Diese Weberei wird nicht oft besucht, da sie nicht an der direkten Verbindungsstraße liegt. So stehen wir beide alleine vor dem kleinen Gebäude, als der Eigentümer aus der Tür tritt und uns begrüßt. Mein Guide und er kennen sich. Ich bekomme ein wenig gezeigt und fühle mich zu keiner Zeit in irgendeiner Weise gedrängt, etwas zu kaufen. Eher im Gegenteil, ich stelle dem Weber einige Fragen, die alle freundlich beantwortet werden, auch nachdem klar ist, dass ich ohne Poncho oder Schal die kleine Manufaktur verlassen werde. Mein Guide erzählt mir später, dass dieser freundliche Herr den Poncho webte, den Papst Franziskus anlässlich seines Besuches in Salta überreicht bekam; sicherlich eine unglaublich große Ehre für ihn und seine Familie.
In Seclantás halten wir für ein Foto der rosa Kirche „Nuestra Señora del Carmen de Seclantás“ mit ihren hellblauen Farbtupfern an Kuppeln und Pforte. Direkt gegenüber befindet sich eine Schule, Aufgabe scheint zu sein, die Kirche zu malen. Die Schülerinnen und Schüler sitzen verteilt vor ihrem Schulgebäude und zeichnen fleißig das kleine rosafarbene Schmuckstück, wie ich bei einem Blick auf ihre Zeichenblöcke feststellen kann.
Leider hatten wir vor 12 Jahren keine Zeit, um uns Molinos anzuschauen. Zum einen wegen meines Planungsfehlers, zum anderen hatten wir uns zu allem Überfluss verfahren, verloren mehr als 2 Stunden und fanden uns in Brealito wieder. Nun stelle ich fest, wie bedauerlich es ist, dass wir Molinos nicht anschauen konnten. Was für ein entzückender Ort, der unzählige Fotomotive über die Kirche „San Pedro de Nolasco de los Molinos“ aus dem 17. Jahrhundert hinaus bietet. In dieser Kirche ist der letzte spanische Gouverneur von Salta, Nicolás Severo de Isasmendi, beigesetzt.
Weit und breit kein anderer Tourist, während ich alleine durch die pittoresken Straßen ziehe und dem örtlichen Kulturzentrum gegen ein geringes Eintrittsgeld von 50 Pesos einen Besuch abstatte. Dieses Kulturzentrum befindet sich im ehemaligen Wohnhaus von Indalecio Gómez, dessen Vater hier 1862 getötet wurde. Im Alter von 60 Jahren wurde Indalecio Gómez im Jahr 1910 vom damaligen Präsidenten Argentiniens, Roque Sáenz Peña, zum Minister für innere Angelegenheiten ernannt. In dieser Funktion entwarf er das Sáenz Peña Gesetz, das die Teilnahme zur verpflichtenden Stimmabgabe an geheimen Wahlen vorsah und somit auch den Ärmeren und unteren Gesellschaftsschichten Wahlen erlaubte, ohne unter dem Einfluss von Großgrundbesitzern zu stehen.
Ich bin absolut begeistert von diesem entzückenden Ort Molinos, der so aufgeräumt wirkt und wo die Zeit stillzustehen scheint.
Hinter Molinos biegen wir ab. Die Straße wird enger und sandiger. Hier gibt es Passagen, die mich an das Damaraland in Namibia erinnern. Hinter dem kleinen Ort Colomé, wo ich in ziemlich genau einer Woche zwei Nächte auf dem namensgleichen Weingut gebucht habe, verengt sich die Straße ein weiteres Mal. Die Piste steigt an, die Kurven nehmen zu, während die Einsehbarkeit der Windungen zeitgleich abnimmt.
Nachdem wir einen kleinen Pass bewältigt haben, bietet sich mir ein wunderschöner Blick ins Tal auf Tacuil. Ich bin begeistert, welch ein Idyll liegt da vor meinen Augen; rundherum sand- und graufarbene Felsen, unten im Tal leuchten die Weinreben und Bäume in Grün. Die verbleibende Strecke ist nichts für Personen mit Höhenangst. Die Piste ist gerade breit genug für ein Fahrzeug und neben mir auf der Beifahrerseite blicke ich in einen ungeschützten Abgrund. Wie ich mir schon dachte, ist diese Piste während der Regenzeit oftmals nicht passierbar. Ich frage mich einmal mehr, was machen die Menschen nur bei einem Notfall, die in solcher Abgeschiedenheit leben.
Wir werden sehr freundlich von Raoul Dádalos begrüßt, der den Familienbetrieb in 5. Generation führt. Für meinen Geschmack begrüßen mich allerdings die Hunde auch zu freundlich, um nicht zu sagen, zu stürmisch. Sogleich werden diese zurück gerufen. Wir sind die einzigen Besucher. Mir scheint, dass sich tatsächlich eher selten ausländische Touristen hierher verirren, eine Voranmeldung ist ohnehin obligatorisch.
Auf der Terrasse mit wunderbarem Blick auf die Weinreben im Tal und den Algarrobo vor dem Gebäude nehmen wir Platz. Ist das eine Wohltat für die Seele. In fließendem Englisch erfahre ich, dass sich hier bis vor kurzem das höchste Weinanbaugebiet befunden hat, bis zu dem Zeitpunkt, als man sich entschloss, auch in Tibet Wein anzubauen. Die Weinreben, auf die wir in diesem Moment schauen, befinden sich in 2.400 Metern Höhe; zu Tacuil gehören aber auch Weinreben, die auf 2.700 Metern wachsen. Die Höhe und die Trockenheit findet sich in der Haut der Trauben wieder, diese ist später hauptverantwortlich für die besondere Qualität der Weine. Ich koste einen Torrontés, der einzige Wein, der seinen Ursprung in Argentinien hat sowie drei Rotweine des Weingutes. Ebenso interessant ist für mich zu hören, dass sich Colomé bis zur Jahrtausendwende im Eigentum der Familie Dádalos befand. Als die große Wirtschaftskrise Argentinien ergriff, man sich aber von Colomé trennte und verkaufte.
Aus dem Lehmofen werden Köstlichkeiten für das Mittagessen serviert. Hier lässt es sich wirklich aushalten, dieser Blick, diese Ruhe, diese Abgeschiedenheit. Herrlich!
Irgendwann müssen wir Abschied nehmen und unseren Rückweg antreten. Die Verabschiedung fällt ebenso freundlich aus wie die Begrüßung. Ich bin sehr dankbar für diesen Tourvorschlag der Agentur, den ich selbst nie eingeplant hätte.
Tags zuvor habe ich meinem Guide von unserem Missgeschick erzählt, dass wir uns verfahren hatten und wieder umdrehen mussten, nachdem wir uns in den unzähligen, unbeschilderten Abzweigungen der verschiedenen Pisten nicht mehr zurechtgefunden hatten. Da ich jedoch den kurzen ersten Teil unserer ungeplant befahrenen Piste als sehr schön in Erinnerung habe, hatte ich ihn daher gefragt, ob wir möglicherweise statt der Strecke Molinos bis Seclantás die Route via Lago de Brealito fahren könnten, denn in meinem Atlas ist dort eine Piste eingezeichnet. Mein Guide war sofort Feuer und Flamme, er müsse allerdings klären, ob diese Piste zurzeit befahrbar sei. Ich ahne einmal mehr, dass es damals eine gute Entscheidung war, nicht weiterzufahren, sondern umzukehren. Jetzt vernehmen meine Ohren, die Wunschstrecke sei befahrbar, mehr noch, genau diese sei er einmal mit seinem Freund in besagtem Wagen gefahren, den ich vor zwei Tagen in Salta fotografiert hatte. Ich weiß nicht, ob der Wagen vorher schon so aussah oder erst, nachdem sie die Strecke gefahren waren. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, weiß ich, ich hätte diese Frage stellen sollen. Auf jeden Fall werde ich einige Stunden später wissen, was dieses Vehikel zu leisten imstande ist.
Mein Guide erzählt mir, dass wir eine kaum frequentierte, einsame Piste fahren werden, der Lago de Brealito wunderbar sei und selbst Einheimische selten bis gar nicht dorthin führen. Ich bin gespannt. Tatsächlich ist die Strecke zeitweise sehr abenteuerlich. Ich kann die enge Piste mit den seitlichen, nicht gesicherten Abgründen kaum fotografisch festhalten, aber definitiv möchte ich diese nicht alleine als Selbstfahrer bewältigen. Aber so, ganz vertrauend auf die Fahrkünste meines Guides und auf unseren Wagen, kann ich die Fahrt genießen, ein wenig Abenteuer kann richtig Spaß machen.
Nach längerer Fahrzeit erreichen wir den See, glücklicherweise ohne irgendeine Form des Gegenverkehrs. Ich laufe ohne Begleitung meines Guides auf eine Halbinsel, die sich in der Regenzeit zu einer Insel wandelt und werde das einzige Mal auf dieser Reise ein mulmiges Gefühl haben. Am Ufer grasen Esel. Plötzlich stürmt von weiter her einer dieser zuweilen recht starrköpfigen Vertreter seiner Art heran, begleitet von lautem Getöse, das für mich eindeutig nach wütenden Schimpftiraden klingt. Er legt ein enorm hohes Tempo an den Tag. Weit und breit gibt es nichts, wohin ich mich in Sicherheit bringen könnte, das Auto und mein Guide sind weit entfernt. Greifen Esel Menschen an? Diese Frage schießt mir durch den Kopf, und ich kann sie nicht beantworten, ich weiß es nicht. Aber ein Esel könnte zum Problem für mich werden? Viel eher hätte ich, bleiben wir bei Vertretern der Fauna, mit Schlangen, Spinnen, Hunden oder gar dem raren Puma gerechnet. Die einzige Waffe zur Gegenwehr, die mir bliebe, ist meine Kamera, die ich ihm um die langen Ohren hauen könnte. Zu meinem großen Glück und meiner noch größeren Erleichterung stoppt er in nicht allzu weiter Entfernung bei seinen Artgenossen. Möglicherweise galt sein Gebaren gar nicht mir, aber den Rückweg werde ich sicherheitshalber in großem Bogen antreten.
Nach dieser Aufregung werden wir tatsächlich mit Kolibri-Sichtungen belohnt. Diese Vögel halten sich unweit des Wagens in Palán Paláns auf. Ich liebe diese gleichlautenden Doppelnamen und wenn ich dann noch darüber nachdenke, dass Kolibris hier Picaflores genannt werden, Picaflores in Palán Paláns – das gefällt mir. Umso schöner empfinde ich die Sichtung, da diese gefiederten Hubschrauber nicht mit Zuckerwasser angelockt werden, wie es leider mittlerweile in einigen touristischen Hotspots üblich ist, um Touristen das bestmögliche Foto zu ermöglichen. Eine Vorgehensweise, mit der ich mich so gar nicht anfreunden kann. Als wir das Gebiet verlassen, erfahren wir von der Dame, die sich um diesen Ort kümmert, dass vor zwei Tagen der letzte Wagen vor Ort war. Mein Guide drückt ihr einen Müsliriegel in die Hand, über den sie sich sehr freut. Puh, wieder einer dieser Momente, der mir demütig vor Augen führt, wie gut es mir geht.
Wieder zeigt die Uhr 19:00 Uhr an, als ich nach einem langen, aber wundervollen Tag das Hotel betrete. Ich telefoniere mit meinem Mann, so wie es scheint, werde ich die nächsten 5 bis 7 Tage dafür keine Möglichkeit haben. Morgen werden wir über den Abra del Acay mit seinen fast 5.000 Metern nach Tolar Grande fahren – die Puna ruft.
Tag 6 – Cachi – Tolar Grande
Der lange Weg in die Puna
Nachts werde ich mehrmals wach, meine Nase ist verstopft und brennt, die Luft ist bereits schon hier in Cachi sehr trocken. Da ich diese Trockenheit in ähnlicher Form schon von vergangenen Aufenthalten in der Höhe kenne, gehört eine Nasensalbe zu meiner Standardausrüstung. Diese schafft Linderung. Ständig habe ich Durst und habe bereits schon tagsüber sehr viel Wasser getrunken, nun auch nachts. Damit muss ich klar kommen, die Trockenheit wird sicherlich die nächsten Tage noch weitaus extremer werden.
Heute ist es nun soweit, es geht in die Puna. Für die nächsten Tage wird es sehr viel einsamer werden … und nicht nur einsamer, sondern auch höher. Wir werden heute beinahe die 5.000 Meter Marke knacken, denn die Fahrt über den Abra del Acay liegt vor uns. Mehrmals las ich vom höchsten befahrbaren Pass, mal las ich von Höhenangaben von knapp unter 5.000 Metern, mal war die 5 als erste Ziffer vermerkt, wenn es um die Höhenangabe des Passes ging. Im Grunde genommen ist es egal, die Luft wird jedenfalls „dünner“ werden. Darauf fühle ich mich durch meine Planung der bisherigen Reisetage sehr gut vorbereitet, denn auf Höhenprobleme mit Ansage kann ich verzichten. Sollten trotzdem Zipperlein auftreten, weiß ich zumindest, dass ich zuvor mein Möglichstes getan habe, um diese zu minimieren. Wir werden sehen, was die nächsten Tage bringen werden.
Im Hotel wird für mich eine halbe Stunde früher das Desayuno aufgebaut, sodass mein Guide und ich bereits um 08:15 Uhr im Auto sitzen. Eine lange und anstrengende Fahrt wird vor uns liegen.
Wir haben den Ort La Poma noch nicht passiert, da zeigt sich ein weiteres Mal, welches Glück ich mit meinem Guide habe. Er biegt in eine Piste ein, die einer kurzen, sandigen Fahrspur inmitten links und rechts thronender roter Felsen folgt. Unser Ziel heißt Graneros de la Poma. Ich behaupte, dass ich mich seit vielen Jahren sehr intensiv mit Argentinien auseinandergesetzt, sehr viel bereits im Land gesehen, mich dort einigermaßen auskenne und mich überdies auch wieder recht gut vorbereitet habe, dennoch ist dies wieder so ein Ort, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört, geschweige denn in irgendeinem Reiseführer darüber gelesen habe.
Selbstredend sind wir hier wieder alleine unterwegs. Das letzte Stück laufen wir in den Canyon hinein, es ist eine wundervolle Stimmung am frühen Morgen, die Luft so klar und alles ist ruhig. Dann stehen wir vor zwei kleinen Höhlen, deren Eingang durch Gitter geschützt sind. Dahinter verbirgt sich das - neben der schönen Umgebung - Sehenswerte: ehemalige Getreidespeicher der Inkas, wohl aus der Zeit des Inkaherrschers Tin-Tin; wieder solch ein Doppelname, den ich so gerne mag. Leider ist auf dem Schild nichts mehr lesbar, das diesen Ort beschreibt, die Sonne fordert bereits hier auf nur 3.000 Metern ihren Tribut. Mein Guide erzählt mir, dass dieser Ort sehr unbekannt ist und sich kaum jemand hierher verirrt. Ich glaube ihm aufs Wort. Er geht zurück zum Auto und lässt mir ein wenig Zeit, damit ich diesen auf meiner internen Festplatte speichern kann, zusätzlich natürlich auch auf meiner externen Speicherkarte, auch wenn es mir nicht gelingen wird, die ganze Faszination auf meinen Fotos festzuhalten, die dieser Platz auf mich ausstrahlt. Das wird aber nicht das letzte Mal auf dieser Reise sein, nur weiß ich das jetzt noch nicht.
Wir sitzen noch nicht lange in unserem Vehikel und ein großer Sichtungswunsch erfüllt sich. In mehreren Bäumen sitzen Hunderte von Felsensittichen (burrowing parrots). Ich bin vollkommen aus dem Häuschen und überglücklich, dass ich mich nach längerem Überlegen im Vorfeld der Reise entschieden habe, einen zusätzlichen Body mit Teleobjektiv mitzuschleppen. Die kleinen Sittiche sind äußerst scheu, aber es gelingen mir trotzdem ein paar Aufnahmen. Ich könnte den kleinen Rabauken stundenlang zusehen, so witzig finde ich ihr Verhalten. Irgendwann reiße ich mich dann schweren Herzens los, weiß ich doch, wir haben unsere Fahrt gerade erst begonnen - und was höre ich von meinem Guide, als ich in den Wagen steige und mich entschuldige, dass ich ihn wieder länger habe warten lassen, „take your time for your photos“. Warum können nicht alle Guides so sein?
Hinter dem Ort La Poma, der auf etwa 3.000 Metern Höhe liegt, wird die Straße rauer und enger. Hier beginnt die Auffahrt zum Abra del Acay. Bei der Planung habe ich diesen Streckenabschnitt der Ruta 40 unbedingt berücksichtigen wollen und nicht die zumeist gewählte, fast durchgehend asphaltierte Verbindung zwischen Salta und San Antonio de los Cobres.
Viele Monate im Jahr ist die nun folgende Strecke nicht passierbar. Gleich zu Anfang müssen wir eine kleinere Wasserfurt queren, die zu anderen Jahreszeiten bereits schon hier ein Ende der Passage bedeutet. Immer wieder gibt es einzelne Abschnitte, die gerade breit genug sind für einen Wagen. Auf meiner Seite schaue ich regelmäßig in den ungesicherten Abgrund, aber auch heute fühle ich mich zu keiner Zeit unsicher. Allerdings denke ich bei mir, selbst fahren möchte ich diese Strecke nicht; ständig hoffen, dass einem in den uneinsehbaren Kurven niemand entgegenkommt und wenn doch, wohin sollte man ausweichen? Ich glaube, da wäre der Genuss dieser Strecke wortwörtlich ziemlich auf der Strecke geblieben. So aber kann ich schauen und staunen, während sich der Wagen mit uns langsam, aber stetig in zahlreichen Kurven nach oben windet. Draußen pfeift der Wind immer mehr, je höher wir kommen.
Einige Zeit nach La Poma sehen wir das einzige Haus für lange Zeit. Mein Guide fragt mich, ob ich anhalten möchte. Sehr gerne möchte ich das. Hier lebt eine Frau mit ihrer Mutter, zwei Kindern und zahlreichen Tieren, unter anderem einem Ziegenbaby, das vor einer Woche das Licht der Welt erblickte. In der wenigen Zeit, in denen der Pass befahrbar ist, verdient sie sich ein wenig Geld vom Verkauf einiger Souvenirs hinzu. Das kann wahrlich nicht viel sein. Während der gesamten Fahrt zum Pass begegnen uns eine kleine Motorradgruppe und ein Auto. Ich kaufe der Frau eine von ihr handgefertigte Stoffpuppe ab, ohne auch nur ansatzweise darüber nachzudenken, über den genannten, definitiv nicht exorbitanten Preis zu verhandeln. Das käme mir hier wirklich nicht in den Sinn. Die Puppe will ich später verschenken, wenn sich die Gelegenheit bieten sollte.
Ich frage sie nach dem Alter ihrer Kinder und wo denn die nächste Schule sei. Sie antwortet mir, dass diese recht weit entfernt wäre. Wir verabschieden uns und fahren weiter, die nächsten Minuten im Auto bin ich schweigsam, diese Begegnung muss ich erst einmal verarbeiten.
Irgendwann erreichen wir dann den höchsten Punkt für heute. Der Abra del Acay wird mit 4.895 Metern auf einem Schild ausgewiesen. Auch hier sind wir wieder ganz alleine, der eiskalte Wind pfeift unerbittlich. Ich muss beim Aussteigen darauf achten, dass mir die Tür nicht aus den Händen gerissen wird und aus der Befestigung springt.
Auf der anderen Seite des Passes windet sich die Straße in den bekannten Kehren nach unten und führt später über ein Hochplateau nach San Antonio de los Cobres, wo wir zu Mittag essen wollen. Wir machen eine Mini-Rundfahrt durch diesen Minenort, der recht trostlos auf mich wirkt. Umso farbenfroher ist da ein Mural, das regelrecht danach schreit, fotografiert zu werden. Der Ort ist auf der touristischen Landkarte nicht die große Unbekannte, endet hier am Viaducto La Polvorilla schließlich der Tren a las Nubes. Scheinbar werden die Wolken gern als Namensgeber in den hiesigen touristischen Einrichtungen verwendet, wie auch dort, wo wir ein gutes Mittagessen zu uns nehmen, im Hotel de las Nubes. Direkt vor dem Eingang des Hotels sitzt eine ältere Frau auf dem Boden und bietet einige wenige Dinge zum Verkauf an. Ich bitte meinen Guide in Erfahrung zu bringen, ob man im Hotel mehr weiß zu dieser Frau. Als ich höre, dass sie weiter außerhalb alleine wohnt und jeden Tag mit ihrem kleinen Portfolio in Taschen hierher läuft, in der Hoffnung, etwas zu verkaufen, erstehe ich bei ihr eine der beiden größeren Puppen, die sie im Angebot hat. Es rührt mich sehr, als sie mir daraufhin von Herzen alles Gute wünscht. So werden uns fortan zwei handgearbeitete Stoffpuppen in der rückwärtig angebrachten Tasche meiner Sitzlehne begleiten.
Während wir auf unser Essen warten, gehe ich in den Waschraum und als ich in den Spiegel schaue, bekomme ich einen großen Schrecken. Meine Zähne haben sich verfärbt, ganz besonders merkwürdig sehen meine oberen Schneidezähne aus. In unterschiedlichsten Weißtönen leuchten sie mir entgegen, damit aber nicht genug, sie sind überdies mit noch unnatürlich wirkenden helleren weißen Flecken gesprenkelt. Beschwerden habe ich keine.
Zu meiner Überraschung habe ich in diesem Ort tatsächlich Handyempfang. Ich erreiche meinen Mann, es ist zuhause später Freitagnachmittag. Ohnehin werden wir erst wieder in einigen Tagen telefonieren können. Ich schicke ihm ein Bild meines „entzückenden“ Lächelns und bitte ihn, doch gleich am Montagmorgen meinen Zahnarzt zu kontaktieren.
Pocitos ist ein kleines Wüstenkaff mit wenigen Straßenzügen. Im Planeta Puna machen wir einen kurzen Stopp. Natürlich kennt mein Guide nahezu alle, die hier arbeiten. Es wird ein wenig gescherzt und wir setzen unsere Fahrt fort. Allerdings fahren wir nicht weit, denn mehr oder weniger direkt hinter dem Ort liegt der Salar de Pocitos.
Es ist wirklich erstaunlich, welche Unterschiede es bei den Salzseen im Hochland gibt, von blendend weiß und eben, wie am Salar de Uyuni, bis hin zu ockerfarbenen Salzgebilden, die so groß und uneben sind, dass man nicht darauf laufen kann, wie am Salar de Atacama … und eben alles dazwischen, so wie nun der Salar de Pocitos, dessen Oberfläche in sich schon nicht einheitlich ist. Ich laufe umher, meist jedoch sehr umsichtig, da ich feststelle, dass der Untergrund wesentlich feuchter ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Mein Guide hat mich an einer Stelle aussteigen lassen und hält nun in ziemlicher Entfernung. Ich kann mir wieder so viel Zeit lassen, wie ich möchte, ich fotografiere und genieße. Eine unglaubliche Stille liegt über der Salzebene – und eine unglaubliche Atmosphäre. Seit wir heute Morgen in Cachi losgefahren sind, hatte ich kaum Zeit, einmal durchzuatmen. Damit meine ich nicht die ohnehin nicht gerade mit viel Sauerstoff durchtränkte Luft, mit der ich bisher glücklicherweise keine Probleme habe, sondern die Eindrücke, die ständig und in so unterschiedlicher Gestalt auf mich einwirken. Dabei ist das erst der Anfang meiner Reisetage, die ich in der Puna verbringen werde - und das Tagesziel, Tolar Grande, ist noch längst nicht erreicht, aber die Schatten werden schon länger und es ist bereits nach 17:00 Uhr.
Dann erreichen wir die Labyrinth Wüste. Wieder lässt mich mein Guide mehrmals aussteigen. Ich laufe alleine durch eine Passage auf der Straße, die sich an dieser Stelle direkt durch die bizarren Hügel windet. Nur der kalte Wind pfeift unaufhörlich. Später klettere ich einen Aussichtshügel empor, den mein Guide mir gezeigt hat, denn ausgeschildert ist hier nichts. Ich muss zeitweise aufpassen, dass mich der Wind nicht wegbläst. Diese Gegend, die anderswo wahrscheinlich längst ein überlaufener Nationalpark wäre, ist einfach nur unglaublich und wir haben scheinbar mit meiner Planung den idealen Tageszeitpunkt für den Besuch getroffen. Die langen Schatten, das Licht, was für eine Gegend. Wir befinden uns auf 3.700 Metern Höhe und diese Wüste gehört zu den Kaltwüsten. Temperaturen unter minus 30 Grad sind möglich. Hier sollte man besser nachts nicht unterwegs sein oder eine Panne haben, aber das gilt für die gesamte Puna, in den noch höheren Gebieten umso mehr.
Vom Aussichtspunkt mit dem so passenden Namen „Desierto del Diablo“ bietet sich ein spektakulärer Panoramablick. Mir fehlen die Worte. Ich hatte bereits zuvor Bilder von diesem Labyrinth gesehen, aber wie das zumeist so ist, man muss es mit eigenen Augen erblickt haben.
Wir sind immer noch fast 40 Kilometer von unserem heutigen Tagesziel entfernt. Seit Pocitos haben wir zwei Fahrzeuge gesehen, davon ein Lkw. Die Temperaturen nehmen spürbar ab und das Tageslicht schwindet auch schon langsam. Ich habe Befürchtungen, dass wir einen Teil der Strecke im Dunkeln zurücklegen müssen. Eigentlich hätten wir uns heute noch die Ojos anschauen wollen, aber das werden wir nicht schaffen. Das Tageslicht verschwindet mehr und mehr, die Landschaft um uns herum strahlt etwas aus, das ich nicht in Worte fassen kann. Im allerletzten Dämmerlicht erreichen wir Tolar Grande. Puh, ist das jetzt schon kalt geworden.
In der einzigen Hostería in Tolar Grande werde ich die nächsten zwei Nächte wohnen. 6 Zimmer gibt es hier, sie sind recht einfach, aber sauber. Ich checke ein und richte mich schnell ein wenig häuslich ein, solange es im Zimmer noch nicht zu kalt geworden ist. Mein Guide wird mich in einer halben Stunde zum Abendessen abholen. Im Ort muss man ziemlich genau wissen, wo man etwas zum Essen bekommt. Einen Laden zum Einkaufen werde ich in den beiden Tagen auch nicht sehen. Sicherlich wird es irgendwo einen geben, aber wenn dieser genauso ausgeschildert ist, wie das Restaurant, nämlich gar nicht, kann es schwierig werden, wenn man hier alleine unterwegs ist und kein Spanisch spricht. Das Restaurant befindet sich in einem Haus, das einem Wohnhaus gleicht. Nirgends ist ein Hinweis darauf, dass man hier etwas zu essen bekommt. In einem Innenraum stehen einige wenige Tische eng beieinander. Wir nehmen direkt unter dem großen Boiler Platz. Bestellt wird direkt in der Küche, zu der keine Tür führt, sondern ein Außenfenster, das geschlossen ist. Man muss anklopfen, dann wird das Fenster geöffnet. Der Raum wurde an die Außenwand eines zuvor bereits vorhandenen Gebäudes angebaut. In der Ecke hängt ein Fernseher, gezeigt wird heute Abend „Zurück in die Zukunft“ in einer nicht erträglichen spanischen Synchronfassung.
Neben den wirklich sehr wenigen Touristen speisen auch Einheimische und Minenarbeiter zu Abend. Jeder, der hereinkommt, wünscht allen einen guten Abend und guten Appetit. Zum Essen gibt es heute Gemüsesuppe, gefolgt von einer Pizza und einem Nachtisch. Ich bin noch gut gesättigt vom Mittagessen, daher verzichte ich auf Vor- und Nachspeise. Die Pizza sieht zwar komplett anders aus als jede Pizza, die ich bisher gesehen habe, aber sie schmeckt gut.
Zurück in der Hostería falle ich müde ins Bett und versuche die vielen Decken irgendwie über mir zu ordnen. Gleichzeitig hoffe ich, dass es heute Nacht nicht zu kalt wird, denn das im Zimmer stehende Heizgerät hat ganz sicher nicht mein Vertrauen und ich möchte es unter allen Umständen vermeiden, dieses anzuwerfen.
Ich denke an den heutigen Tag zurück. Ein Tag, auf den ein Höhepunkt dem nächsten folgte. Mir fehlen bereits jetzt die Worte, um meine Gefühle zu beschreiben und mein Gefühl sagt mir, die nächsten Tage könnten ähnlich verlaufen.
„Wer die Abenteuerlichkeit des Reisens ins Blut bekommt, wird diese nicht wieder los.“
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Bruno H. Bürgel