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Provinz Córdoba
Chaco
Estancia Jesús María
Argentinien
Che Guevara, Gauchos, Wein und La Pampa - das volle Klischee und doch zumeist abseits der bekannten Pfade
- Teil 1 von Buenos Aires bis Alta Gracia -
Prolog
Argentinien - zum Vierten. Obwohl mich zuvor drei Reisen nach Argentinien geführt hatten und ich bereits mehrere Wochen im Land von Che Guevara, Evita, Gauchos, Wein und La Pampa verbringen durfte, gibt es noch so viel, was ich noch nicht in diesem zweitgrößten Flächenstaat auf dem südamerikanischen Kontinent gesehen habe; ganz zu schweigen von den vielen schönen Orten und Landschaften, die ich mir auch ein weiteres Mal anschauen würde.
Die Auswahl der Route war - wie zumeist - nicht einfach. Ich stand vor dem üblichen Problem, viel zu viel wollte ich gerne anschauen, für das in der Regel die Reisezeit nicht ausreicht. Nun gab es verschiedene Punkte, wie die wunderbaren Iguazu Wasserfälle, die ich zwar kannte, aber mein Mann nicht, die Gegend um den Aconcagua, die wir zwei Jahre zuvor aufgrund einer über Nacht plötzlich hereinbrechenden Winterfront links liegen lassen mussten, die kulturell interessante Gegend um Cordoba sowie eine Reserva Provincial, über die es nur sehr wenig Informationen gab, von der ich jedoch so viel wusste, dass für mich unverrückbar fest stand, diese Gegend will ich mit eigenen Augen sehen. Diese Gegend weist eine der höchsten Vulkandichte weltweit auf und trägt den Namen Reserva Provincial La Payunia.
Nun stand ich vor der Herausforderung, wie ich nur all diese Orte in einer 4-wöchigen Tour einbauen sollte, denn die Entfernungen untereinander sind alles andere als gering. Wie sollte es anders sein, kam natürlich noch hinzu, dass weitere absolut lohnenswerte Stopps entlang der Route liegen würden. Aber einige Abstriche musste ich schweren Herzens machen. Wir bevorzugen es, lieber an einem Ort etwas länger zu bleiben und stattdessen auch einmal einen Fahrtag einzulegen, auch wenn dieser dann länger ausfällt. Getreu diesem Motto plante ich die Route und schaffte es tatsächlich die für Argentinien so typischen Klischees, wie Che Guevara, Gauchos, Wein, La Pampa und auch Evita einzubauen - und all das, auf zumeist von nicht-südamerikanischen Touristen noch wenig bereisten Strecken.
Meine bevorzugte Variante wäre eine Einwegmiete von der Region Misiones zur Region Mendoza gewesen, aber schnell stellte sich heraus, dass die ohnehin schon sehr hohen Preise für Mietwagen in Argentinien zwar in unser Reisebudget passen würden, aber exorbitante Einwegmieten keinesfalls in Frage kämen. Also entschieden wir uns für eine Runde ab/bis Buenos Aires. Wir würden zwar mit der Fahrstrecke San Rafael - Buenos Aires, die wir an einem einzigen Tag zurücklegen wollten, einen neuen Rekord aufstellen, aber gemäß meiner Recherche sollte es zwar ein extrem langer und anstrengender Fahrtag werden, aber durchaus machbar. Ebenso würden wir gleich zu Beginn zwei Fahrtage in Kauf nehmen müssen und somit leider auch den Parque Nacional El Palmar nicht anschauen können. Nachdem ich, wie ich hoffte, in der Mehrzahl schöne Unterkünfte ausfindig gemacht hatte und die Route stand, waren mein Mann und ich hochzufrieden. Selbst im Ort Malargüe, der seinen Weg kaum in Reiseführer und auf die üblichen Buchungsplattformen gefunden hatte, hatte ich über direkten Kontakt Cabañas sowie eine Privattour in die Reserva Provincial La Payunia gebucht.
Als unsere Freunde erfuhren, mit denen wir bereits zwei Jahre zuvor in Südamerika unterwegs waren, dass wir eine weitere Reise nach Argentinien planten, waren sie Feuer und Flamme und fragten, ob sie auch dieses Mal mitreisen könnten. Da wir die gemeinsame Reise sehr positiv in Erinnerung hatten, freuten wir uns und waren einverstanden zu den bekannten Bedingungen. Diese bedeuten, wir reisen erneut mit zwei Autos und an der von mir erstellten Route wird es keine Änderungen geben. Es gab keinerlei Einwände und so freuten wir uns ein weiteres Mal auf eine Reise zu viert.
Tag 1 – Flug Frankfurt – Buenos Aires
Die wie immer lange Anreise
Die letzte Zeit im Büro war wieder einmal sehr stressig, so viel gab es noch zu erledigen. Gegen 15:00 Uhr schaffe ich es dann endlich, den Computer herunterzufahren und das Büro für die nächsten vier Wochen hinter mir zu lassen. Zum Glück hatten wir bereits schon alles vorbereitet, kaum zuhause angekommen, noch schnell unter die Dusche und schon werden wir abgeholt, um zum Flughafen zu fahren, den wir auch ohne größere Staus erreichen.
Die Boeing 747 des Kranichfliegers startet recht pünktlich in Frankfurt und dank Plätzen in der Business Class verschlafe ich die meiste Zeit des fast 14-stündigen Non-Stop-Fluges.
Tag 2 – Buenos Aires
Gleich zwei Cementerios
Die Stadt der guten Lüfte empfängt uns mit einem sehr bewölkten Frühlingstag und ihrem Namen macht sie auch nicht unbedingt alle Ehre. Durch sehr viel Verkehr, ausgelöst durch Autos, die nicht selten dunkle Wolken aus dem Auspuff entlassen, fahren wir mit einer Remise von Manuel Tienda Leon in den Stadtteil Palermo Hollywood. Mir ist nicht bekannt, dass dieser Bezirk in Buenos Aires mit ebensolchen Lettern aufwarten kann, wie die Stadt der Engel weiter nördlich auf dem Doppelkontinent. Aber danach habe ich nicht unsere Unterkunft ausgewählt. Im Microcentro wohnten wir bisher bei unseren Aufenthalten in Buenos Aires, diesmal hatte ich ein Boutiquehotel mit nur 12 Zimmern gewählt, das Ilum Experience. Der Straßenzug, in dem das Hotel liegt, mit seinen teilweise gepflasterten Wegen, hat fast schon ein wenig von Idyll, wenn man es mit dem Verkehr und Lärm im Zentrum vergleicht. Von außen wirkt das Ilum Experience sehr unscheinbar, doch kaum haben wir das Gebäude betreten und werden äußerst freundlich begrüßt, wissen wir, meine Wahl war die richtige. Wir freuen uns, als wir hören, dass wir unsere beiden Zimmer bereits so früh am Morgen beziehen können und melden uns gleich für ein Frühstück an; alles
no hay problema.
Nachdem unsere Mägen gut gefüllt sind, wir noch eine Weile zusammengesessen haben, ruhen wir uns auf den Zimmern aus. Für den Nachmittag sind wir wieder verabredet, wir wollen uns zwei Friedhöfe anschauen.
Zuerst fahren wir zum von Touristen eher wenig besuchten, sehr großen Cementerio de la Chacarita. Auf diesem Friedhof ist unter anderem Carlos Gardel begraben sowie es zeitweise auch Juan Domingo Perón war. Diese für so viele Menschen letzte Ruhestätte befindet sich auf einem riesigen Areal. Es ist so weitläufig, dass mehrere breite Straßen hindurch führen, auf denen Autos fahren können. Leider spielt heute das Wetter nicht ganz so mit, hin und wieder fällt aus dunklen Wolken der eine oder andere Tropfen Regen.
Wenige Besucher sehen wir in Chacarita, daher fällt mir ein Mann auf, der sich seltsamerweise immer in einem gewissen Abstand auf genau der gleichen Route wie wir bewegt. Ich weiß nicht, ob das Zufall ist oder ob irgendwelche anderen Absichten dahinter stehen. So ganz wohl ist uns allen nicht dabei.
Dann verlassen wir den Friedhof und lassen uns zum zweiten Cementerio fahren, der wahrscheinlich nahezu auf jedem Erst-Besuchsprogramm von Touristen in Buenos Aires steht, nach Recoleta. Hier ist deutlich mehr los, wobei ich nicht sagen kann, es wäre voll. Der Friedhof in Recoleta nimmt nur einen winzigen Bruchteil der Fläche ein im Vergleich zu Chacarita. Auch sind die Grabstätten wesentlich kleiner. Natürlich fehlte auch Recoleta nicht bei meinem Erstbesuch in Buenos Aires vor 8 Jahren, aber meine drei Mitreisenden haben bisher noch nicht die letzte Ruhestätte von María Eva Duarte de Perón gesehen. Die Grabstätte von Evita ist wohl der Hauptanziehungspunkt für die meisten Touristen.
Wir halten ein Taxi an und steigen ins Fahrzeug. Wir wollen zurück zum Hotel. Da ich mir bereits dachte, dass sicherlich nicht jeder Taxifahrer ein kleines, zudem recht neues Boutiquehotel in Palermo Hollywood kennt, hatte ich mir eine Visitenkarte mit der Adresse eingesteckt. Diese gebe ich dem Fahrer, er hält sie so dicht vor seine Augen, dass ich schon ein wenig stutze, dann greift er zu einer handtellergroßen Lupe, die in der Ablage liegt und liest damit die Adresse. Wir schauen uns alle sehr verblüfft an … und kommen gesund und munter einige Zeit später mit diesem Taxi an unser Ziel. Wir steigen aus und kugeln uns vor Lachen.
Wir besorgen noch schnell eine Telefonkarte in einem naheliegenden Shop und essen in einem kleinen sympathischen Restaurant eine Kleinigkeit, bevor wir todmüde ins Bett fallen. Morgen geht’s auf Tour.
Tag 3 – Buenos Aires - Concordia
Auf in den subtropischen Nordosten
Für mich sehr ungewöhnlich werde ich morgens um 05:00 Uhr ohne Weckergetöse wach. Um 07:15 Uhr werden wir bereits von unserem freundlichen Fahrer vom Vortag abgeholt. Wir wollen unsere Mietwagen am Flughafen übernehmen. Den Verkehr im Zentrum von Buenos Aires, den wir bei einer Übernahme in der Stadt meistern müssten, wollen wir uns definitiv nicht antun.
Am Mietwagenschalter erfahren wir, dass wir für beide Wagen ein Upgrade erhalten. Wir erhalten eine noch recht neue Chevrolet Aveo Limousine, unsere Freunde eine Kategorie darunter. Mit der Übernahme in Ezeiza können wir den Großraum Buenos Aires recht großzügig umfahren, müssen aber auf einer eigentlich sehr gut ausgebauten Straße alle Sinne beieinander haben. Die Straße ist grauenhaft, im Asphalt sind immer wieder riesige und tiefe Löcher. Ab Campana wird dann endlich die Straße besser. Über eine lange Brücke passieren wir das Delta des Río de la Plata. Wir fahren immer weiter gen Norden durch die Provinz Entre Ríos, die wohl diesen Namen trägt, weil sie zwischen dem Río Paraná und dem Río Uruguay liegt. Beide Flüsse münden in den Río de la Plata. Heute gilt es, Kilometer zu machen. Die Gegend um uns herum ist flach, geprägt von Schwemmland und auf grünen Weiden grasen die für Argentinien so bekannten Rinder. Ein typisches Klischee, das sich gerade bewahrheitet.
Am frühen Abend erreichen wir Concordia, wo wir für eine Zwischenübernachtung das Hathor Hotel gebucht haben.
Tag 4 – Concordia – Candelaria (Estancia Santa Cecilia)
Eine Estancia zum Wohlfühlen
Eine weitere lange Fahrstrecke liegt heute vor uns. 550 Kilometer trennen uns von unserem Übernachtungsziel der nächsten drei Tage. Wir passieren die imaginäre Grenze der Provinzen Entre Ríos und Corrientes. Obwohl heute Sonntag ist, kommen wir auf der ersten Hälfte der Strecke nicht recht voran, fast fühlen wir uns wie auf einer deutschen Autobahn, eine Baustelle folgt auf die nächste. Irgendwann haben wir dann endlich freie Fahrt. Die Landschaft in Entre Ríos, die am Wagenfenster vorzieht, finde ich trotz Eintönigkeit in gewisser Weise interessant. Alles ist flach, keine Erhebung lenkt das Auge ab. Regelmäßig sehen wir Rinder und Pferde, die im Schwemmland der grünen Umgebung bis zum Bauch im Wasser stehen, ebenso sichten wir Störche. Auch das Tierleben auf der Straße ist nicht zu verachten, zwei tote Schlangen zählen wir, Iguanas überqueren in Windeseile die Straße und eine riesige Monster-Vogelspinne krabbelt über den Asphalt; Brehms Tierleben in Corrientes.
Dann wechseln wir ein weiteres Mal am heutigen Tag die Provinz und befinden uns nun in Misiones. Gegen 16:00 Uhr erreichen wir die Estancia Santa Cecilia, wo wir von der Hausherrin und José, der, wie wir später erfahren, immer aushilft, wenn Gäste vor Ort sind, freundlich empfangen werden. Beide sprechen hervorragend Englisch.
Das Herrenhaus im äußerst gepflegten Garten ist wunderschön und genau so, wie ich mir ein typisch argentinisches Estanciagebäude vorgestellt habe. Hier atmet jeder Stein Geschichte. Wir beziehen unsere Zimmer. Mein Mann und ich erhalten das von mir bei Buchung gewünschte Eckzimmer. Ich hatte zuvor Bilder von diesem Zimmer und angrenzendem Bad gesehen. Für mich hätte die Einrichtung nicht authentischer sein können. In diesem Zimmer wollte ich unbedingt wohnen. Unsere Freunde erhalten ein etwas moderner eingerichtetes Zimmer gleich nebenan.
Wir genießen noch etwas Zeit im Garten mit leckerem Eistee und Quilmes aus der uns bekannten Literflasche. Das folgende Abendessen ist einfach nur köstlich und viel zu viel. Wir sind die einzigen Gäste.
Tag 5 – Candelaria (Estancia Santa Cecilia)
Willkommen in der Welt der Gauchos oder wenn Klischee und Realität eins werden
Die Estancia Santa Cecilia ist nach wie vor eine Estancia, die hauptsächlich von der Rinderzucht lebt. Es gibt noch weitere Standbeine, wie Forstwirtschaft und ein klein wenig Tourismus. Auf der Estancia leben wie schon seit vielen Jahrzehnten die Familien der Gauchos und die Hausherrin ist sehr darauf bedacht, dass die Kinder eine gute Schulbildung erhalten. So auch José, der auf der Estancia aufwuchs. Er wird uns heute und morgen betreuen, wenn wir dies wollen. Nichts ist aufdringlich hier, aber man kümmert sich in einer so unaufgeregt freundlichen Art und Weise um uns, wie wir es uns nicht besser wünschen könnten. Die Verpflegung sucht sowohl qualitativ als auch quantitativ ihresgleichen. Wir sind noch nicht lange hier, aber befürchten schon jetzt, dass wir allesamt nach den Tagen auf der Estancia eine Nulldiät einlegen müssen.
Nach einem sehr leckeren Frühstück, das keine Wünsche offen lässt, fahren wir mit José über das so weitläufige Farmgelände. Er zeigt uns die Farm, erzählt sehr viel Wissenswertes aus der Historie und fährt dann mit uns zu einem Bereich, wo erst kürzlich geborene Kälber mit dem Lasso eingefangen, geimpft und markiert werden. Nichts wird hier für uns gestellt, das ist tatsächlich das wahre Leben auf der Estancia, alles ist exakt so, wie ich es mir vorgestellt habe. Wir sind nur Zuschauer. Wir beobachten das Treiben eine ganze Weile, während uns José immer wieder Erklärungen liefert. Das pure Klischee ist jetzt hier im Moment auch pure Realität.
Einer der Estanciahunde weicht meinem Mann nicht mehr von der Seite. Es scheint, als hätten sich hier zwei Freunde gefunden.
Dann fahren wir über grüne Wiesen zurück. Das Mittagessen ruft. Wir sitzen auf der luftigen Veranda, speisen wieder ganz hervorragend und genießen ein weiteres Mal die Atmosphäre an diesem wundervollen Ort.
Eine kleine Siesta gefolgt von Kaffee und Kuchen rundet das Nichtstun ab, bevor José uns fragt, ob wir zu den Stallungen gehen möchten. Sehr gerne wollen wir das. Dort treffen wir auf zwei Gauchos, die gerade in Windeseile Lassos fertigen. Wir erfahren, dass alle benötigten Halfter, Seile, Lassos etc. in filigraner Handarbeit, zumeist aus Kuhhaut, selbst hergestellt werden.
Was machen wir am Abend? Köstlich speisen im Esszimmer, das ebenfalls nicht typischer eingerichtet sein könnte.
Tag 6 – Candelaria (Estancia Santa Cecilia)
UNESCO Weltkulturerbe der Jesuiten und harter Gaucho-Alltag
Etwa 45 Minuten Fahrtzeit entfernt von der Estancia befindet sich ein UNESCO Weltkulturerbe, die Jesuitenreduktion San Ignacio Miní und mit diesem Ziel setzen wir uns nach einem üppigen Frühstück ins Auto.
In verschiedenen Ländern des südamerikanischen Kontinents, wie Brasilien, Paraguay, Bolivien und Argentinien, bauten die Jesuiten im 17. und 18. Jahrhundert Jesuitenreduktionen. Ihr Ziel bestand darin, die Einheimischen zu missionieren. Hier in San Ignacio Miní waren es die Guaraní, die noch heute in der Provinz leben und auch ihre Sprache, das Guaraní, am Leben erhalten. Von einigen der Jesuitenreduktionen ist nicht mehr allzu viel übrig, wohingegen man in anderen mit entsprechender Vorstellungskraft noch recht gut nachvollziehen kann, wie es hier einmal ausgesehen haben muss. Einige der Jesuitenreduktionen finden sich in der Liste der UNESCO Weltkulturerbe, so auch San Ignacio Miní, das 1984 aufgenommen wurde. Errichtet wurde die Jesuitenreduktion im Jahr 1696, um das Jahr 1730 lebten hier zeitweise mehr als 4.000 Menschen. Hier wurde gearbeitet, es gab Schulen, aber auch Unterhaltung und natürlich Gottesdienste.
Den Spaniern war der Einfluss der Jesuiten ein Dorn im Auge und so vertrieben sie im Jahr 1767 die Jesuiten aus Südamerika. Das war das Ende der Reduktionen und sie waren dem Verfall preisgegeben. Ich kann mich noch erinnern, dass ich vor langer Zeit den oskargekrönten Film „Mission“ aus dem Jahr 1986 mit Jeremy Irons und Robert de Niro gesehen habe, in dem es auch um die Missionierung der Guaraní durch die Jesuiten sowie deren Vertreibung ging. Allerdings kann mich nicht mehr so genau daran erinnern, wie mir der Film gefiel.
Nun gut, im Hier und Jetzt befindet sich am Eingang ein kleines Museum, wo wir unsere Tickets für Extranjeros erwerben. Im Museum steht ein Modell der Reduktion, wie sie einmal ausgesehen haben soll.
So kann ich mir alles viel besser vorstellen. Von der Kirche stehen noch Teile des Portals. Ich denke, das ist wohl das bekannteste Motiv von San Ignacio Miní. Wir freuen uns, dass wenig Touristen vor Ort sind. Die Tagestouristen, die von Puerto Iguazú in einer sicherlich sehr anstrengenden, äußerst langen Tagestour die Ruinen besuchen, sind noch nicht vor Ort. Wir laufen durch den sehenswerten Komplex und nehmen uns richtig viel Zeit, um uns alles anzuschauen.
Der Nachmittag ist wieder dem Gaucholeben auf der Estancia gewidmet. Wir schauen zu, wie die dreijährigen Rinder gegen Maul- und Klauenseuche geimpft werden, zusätzlich erhalten sie noch ein Medikament in den Mund per Spritze, das gegen Parasiten wirken soll. Die Gauchos nutzen die Gunst der Stunde und wiegen die Rinder. Ich darf sogar mithelfen und eine Zeitlang das Gewicht der Vierbeiner in eine Liste eintragen. Auf meine Bitte hin, schaut mir José dabei über die Schultern, wofür ich ihm dankbar bin, denn ich muss hochkonzentriert sein, damit ich die von den Gauchos in schneller Abfolge auf Spanisch zugerufenen Zahlen auch korrekt eintrage.
Dann ruft schon wieder der nachmittägliche Kaffee und Kuchen. Nur gut, dass wir morgen abreisen, wo sollte diese geniale Küche sonst noch hinführen.
Was ich auf alle Fälle von unseren Tagen auf der Estancia mitnehme, sind wunderbare Erinnerungen an den Aufenthalt und die Menschen auf der Estancia Santa Cecilia, aber auch die Erkenntnis, weil ich es nun mit eigenen Augen gesehen habe, dass das Gaucholeben keineswegs ein romantisches ist, sondern ein Leben geprägt von knochenharter Arbeit.
Tag 7 – Candelaria (Estancia Santa Cecilia) – Puerto Iguazú
Misiones – rote Erde und Wasser, Wasser, Wasser
Der Abschied ist etwas wehmütig und als die Hausherrin uns sagt, dass wir sie im Laufe der Reise bei Problemen jederzeit anrufen könnten, wir würden schließlich eine große Distanz auf ungewöhnlicher Route zurücklegen, bin ich unglaublich gerührt über so viel Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft.
Zum Glück schwindet die Wehmut bald, denn vor uns liegt ein Ziel, auf das alle sehr gespannt sind, die Cataratas del Iguazú. Auch wenn ich die einzige aus unserer kleinen Reisegruppe bin, die diese bereits schon vor 8 Jahren besucht hat, freue ich mich genauso wie meine Mitreisenden darauf.
Die Fahrt durch Misiones zeigt uns ein ganz anderes Argentinien. Würde mich jemand fragen, in welcher Farbe ich Misiones beschreiben würde, fiele mir die Antwort leicht: Rot. Rot sind nicht nur die Überbleibsel der Jesuitenreduktion in San Ignacio Miní, sondern auch die Erde um uns herum, die uns die nächsten Stunden auf 280 Kilometern begleiten wird. Es ist ein ganz anderes Rot, als ich es zum Beispiel aus Namibia oder dem Outback in Australien kenne. Was mir in Misiones allerdings auch auffällt, ist die erschreckende Fahrweise der Argentinier. Wir sind bisher schon eine etwas impulsivere Fahrweise in Argentinien gewöhnt, aber was sich auf dieser Strecke bis Puerto Iguazú abspielt, lässt uns ein ums andere Mal den Atem gefrieren. Hier wird überholt, was das Zeug hält. Es scheint egal zu sein, ob Gegenverkehr naht oder ob es sich um unübersichtliche Stellen handelt; Hauptsache, man kann seinen Vordermann schnell im Rückspiegel sehen. Was diesen Punkt anbelangt, sind wir heilfroh, als wir nach etwa 4 Stunden Fahrtzeit unversehrt unsere Unterkunft für die nächsten beiden Nächte erreichen. Hatte ich vor 8 Jahren zwei Nächte direkt im Park auf der argentinischen Seite und 1 Nacht direkt im Park auf der brasilianischen Seite gewohnt, haben wir uns bei dieser Reise aus Kostengründen dagegen entschieden und die La Cantera Jungle Lodge gewählt.
Wir wohnen quasi mitten im Dschungel in einem wunderschönen Zimmer. Überhaupt gefällt es uns auch hier in dieser nicht allzu großen Anlage sehr gut. Trotzdem würde ich mir wohl bei einem Wiederholungsbesuch in Iguazú überlegen, ob ich nicht doch wieder – alleine wegen der Lage – im Park buchen würde.
Ich hatte bereits im Vorfeld über die Lodge organisiert, dass wir um 14:00 Uhr von einem Fahrer abgeholt würden, der uns für den Nachmittag auf die brasilianische Seite fahren soll, dort während unserer Besichtigung warten möge und uns im Anschluss wieder zur Lodge zurückbringt. Pünktlich um 14:00 Uhr steht der Wagen vor der Tür und fährt uns über die Brücke, unter der nicht weit entfernt der Río Iguazu in den Río Paraná fließt.
Der Grenzübertritt verläuft völlig problemlos, das ist hier wohl Tagesgeschäft. Wir genießen den Panoramablick auf die Fälle von der brasilianischen Seite und laufen durch bis zum Ende der Strecke. Allerdings sind wir immer auf der Hut vor den gefräßigen, zudringlichen Nasenbären. Bereits damals habe ich beobachtet, wie sich die Nasenbären auf eine japanische Touristin stürzten, die eine Plastiktüte in der Hand hielt. Entsprechend habe ich meine Mitreisenden sensibilisiert.
Tag 8 – Puerto Iguazú
Las mismas cataratas, solo un otro país
Während auf der brasilianischen Seite die Wege entlang der Fälle eher kurz ausfallen, man von dort aus jedoch einen Panoramablick hat, sind die Gegebenheiten auf der gegenüberliegenden Seite in Argentinien ganz anders. Hier gibt es unzählige Möglichkeiten, den Fällen auf Spazierwegen näher zu kommen. Sogar eine Bahn fährt eine Strecke. Diese muss man auch nehmen, will man zum etwas über 1 Kilometer langen Trail, der zur Garganta del Diablo führt. Einen Regenschutz sollte man darüber hinaus auch dabei haben, will man nicht klatschnass werden.
So ist unsere Planung auch ideal, der gestrige Nachmittag war genau passend für die brasilianische Seite, der heutige Tag ist komplett der argentinischen gewidmet. Mit dem Auto fahren wir am Morgen zum Parkplatz, wo wir die Eintrittskarten erstehen. Ein wenig wehmütig denke ich daran zurück, wie viel weniger Touristen doch noch vor 8 Jahren hier unterwegs waren, als ich die Menge an Touristen erblicke. Ich kann mich sogar gut daran erinnern, dass selbst in meinem Bekanntenkreis viele damals noch nicht von den Iguazú Wasserfällen gehört hatten. Mit immer mehr aufkommendem Social Media hat sich das geändert und wird sich sicherlich in den nächsten Jahren noch gravierender verändern. Nun gut, sei es drum, auch wir gehören zur Gattung Touris und so starten wir unsere Besichtigungstour.
Was mich dazu bewegt hat, heute nur die kleine Knipse mitzunehmen, ich weiß es nicht. Für die Garganta del Diablo macht es sicherlich Sinn, denn hier bleibt nichts mehr trocken; aber für die anderen Fälle wäre eine bessere Kamera keine schlechte Option gewesen. Zuerst fahren wir mit der Bahn und laufen die Stege bis zur Garganta del Diablo. Was für ein Getöse, welch ein Lärm, dessen alleiniger Verursacher Wasser ist. Einzig die Vögel, die in der Wand hinter den Fällen leben und dort geschützt ihren Nachwuchs aufziehen, stürzen sich immer wieder ins Getöse. Für mich ist das ein Mysterium, wie die gefiederten Kleinen nicht in diesen Wassermassen ertrinken.
Wir laufen weitere Wege und staunen, staunen, staunen. Wie wundervoll finde ich erneut diese Wasserfälle. Ich bin sehr glücklich darüber, dass nun auch mein Mann diese mit eigenen Augen sehen kann. Vor ziemlich genau einem Jahr sahen wir die Victoriafälle, so wunderbar ich diese Fälle auch fand, für mich können sie dennoch nicht an die Schönheit der Cataratas del Iguazú heranreichen.
Tag 9 – Puerto Iguazú – Puerto Valle
Von der vertikalen Wasserwelt zur horizontalen Wasserwelt
6 Stunden Autofahrt – genau diese Zeit trennt uns von unserem nächsten Ziel, Puerto Valle am nördlichen Rand der Esteros del Iberá. Bei den Esteros del Iberá handelt es sich um Sumpf-Schwemmland mit einer, so las ich, reichen Tierwelt. Leider sind Jaguar und der große Ameisenbär hier nicht mehr heimisch, aber Douglas Tompkins und seine Frau Kris haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, diese einst hier lebenden Tiere wieder anzusiedeln. Wenn das Projekt ähnlich erfolgreich wird, wie die Schaffung des Pumalin-Parks in Chile, wird man diesen Tieren in wenigen Jahren hoffentlich wieder in den Sümpfen begegnen. Wir sind unserer Zeit voraus, aber wer weiß, vielleicht kommen wir irgendwann einmal wieder hierhin zurück.
Während ich mir vorstelle, wie wunderbar es sein muss, diese Tiere in freier Wildbahn zu sehen, lenkt mein Mann sicher den Wagen im subtropischen Regen durch den Verkehr von Misiones. Noch ahne ich nicht, dass wir vier Jahre später Jaguar und Co. in ihrem natürlichen Lebensraum sehen werden, nur nicht hier in den Esteros del Iberá, sondern im Pantanal. Zu diesem Zeitpunkt wird Douglas Tompkins nicht mehr leben, einige Monate zuvor wird er bei einem Kajakausflug auf dem Lago General Carrera mit 72 Jahren tödlich verunglücken. Die Wiederansiedlung der einstigen Bewohner dieses Gebietes wird jedoch weiter fortgeführt. Aber nun zurück zur Gegenwart.
Bei meiner Recherche für die Reise stieß ich auf eine Unterkunft, die mir sofort gefiel und zudem mit dem Pkw erreichbar ist, das Hotel Puerto Valle; mit nur 5 Zimmern klein, aber sehr fein.
Die Zufahrtsstraße zu der lodgeähnlichen Unterkunft führt uns durch eine Bambusallee. In den Bäumen tummeln sich Affen, der weitläufige Garten ist ausgesprochen gepflegt. Der Schwimmingpool befindet sich direkt neben einem sehr gemütlichen Pavillon, wo wir den Tag ausklingen lassen. Besonders eindrucksvoll empfinde ich die Lage am Río Paraná, der hier so breit ist, dass ich das Gefühl habe, mich am Meer zu befinden.
Beim Check-in erfahren wir, dass wir für die nächsten drei Nächte die einzigen Gäste sein werden. Einzig im Restaurant könnten wir auf andere Besucher treffen.
Wir erhalten zwei Zimmer nebeneinanderliegend im separat stehenden Gebäude, in dem vier der insgesamt fünf Zimmer untergebracht sind. Obwohl wir eine identische Kategorie gebucht haben, ist das Zimmer unserer Freunde größer, hat mehr Sitzgelegenheiten und weitaus heller. Ich frage, ob es möglich wäre, in unser Zimmer wenigstens noch einen Sessel hineinzustellen. Nachdem dies verneint wird und ich erwidere, dass ich nicht verstehe, warum die Zimmer doch so unterschiedlich sind, erhalten wir ein Upgrade in die Suite. Das war nicht unsere Absicht, aber wir freuen uns natürlich sehr darüber. Die Suite ist klasse, hat ein riesiges Badezimmer und zusätzlich im ersten Stock noch ein Wohnzimmer mit Terrasse.
Tag 10 – Puerto Valle
Wasser von oben und von unten
Morgens treffen wir auf unseren Guide der Lodge. Es hat in der Nacht wieder geregnet. Ich hoffe, dass wir heute von weiterem Nass verschont bleiben. Wir werden mit Gummistiefeln und viel zu großen Regenjacken ausgestattet. Unser erstes Ziel sind die nahe gelegenen Gehege, in denen Kaimane gezüchtet werden. Obwohl ich nicht arg geruchsempfindlich bin, ist es bei dem feuchtwarmen Klima kaum auszuhalten. Unser Guide scheint darauf vorbereitet zu sein und reicht uns allen Tüchern.
Wir setzen unsere Tour fort und laufen auf einem Pfad, der sich Sendero de los Monos nennt, durch den Regenwald, wobei Laufen eigentlich die falsche Bezeichnung ist. Wir sind alle heilfroh, dass wir Gummistiefel tragen. Es ist durch den Regen sehr nass und rutschig, aber wir schaffen es alle, die Tour hinter uns zu bringen, ohne ein Schlammbad zu nehmen. Leider ist die ganze Tour hinsichtlich Tieren nicht sonderlich ergiebig, einzig einen Damenschleier (vielen Dank an meine Freundin für die Bestimmung!) bekomme ich vor die kleine Knipse, wenngleich das Bild im dunklen Dickicht unscharf wird.
Das Restaurant des Hotels ist richtig gut. Das Essen ist im Preis inbegriffen und obwohl wir die einzigen Gäste sind, wird an unserer Bewirtung nicht gespart. Wir lassen es uns schmecken.
Am späten Nachmittag starten wir zu einem weiteren Programmpunkt, den ich ebenfalls im Paket gebucht hatte. Wir wollen eine Bootsfahrt durch die Esteros del Iberá machen. Mit unserem Guide fahren wir zur Anlegestelle der Lodge. Weit und breit sind keine anderen Touristen zu sehen, nur ein kleines Boot liegt dort am Ende des Steges und wartet darauf, dass wir es entern. Wir fahren durch Schwemmland auf die offene Lagune, sehen einige Capybaras, die vor uns flüchten und steigen an einer winzig kleinen Insel aus, auf der eine Aussichtsplattform errichtet wurde. Der Himmel über uns meint es nicht gut und es beginnt zu regnen. Wir werden nass. In der Ferne gehen Blitze runter und Donner lässt nicht lange auf sich warten. Alles andere als optimales Wetter, um in einem winzigen Boot über das Schwemmland zu schippern.
Auf der Rückfahrt, mittlerweile hat der Regen Erbarmen mit uns und macht eine Pause, sehen wir noch direkt neben dem Boot ein Wasserschwein, das diesmal nicht gleich die Flucht ergreift; aber das ist tatsächlich die einzige nennenswerte Wildlife-Sichtung auf dieser Tour. Alles in allem bin ich doch ziemlich enttäuscht, wenigstens der Himmel gibt sich zum Abschluss noch fotogen.
Tag 11 – Puerto Valle
Ein Urlaubstag fällt ins Wasser
Für den heutigen Tag gibt es keine festen Pläne. Wir hatten auch keine Touren im Vorfeld gebucht. Wahrscheinlich wären diese auch dem Wetter zum Opfer gefallen. Es regnet, wie es in den Subtropen nur regnen kann und das auch nur einmal, nämlich den ganzen Tag. Wir verbringen die Zeit damit, im Restaurant gut zu essen. In den Gemeinschaftsräumen in den ausliegenden Büchern zu stöbern und uns gemeinsam in unser Wohnzimmer in unserer Suite zurückzuziehen.
Solche Tage braucht man nicht auf einer Reise, aber ändern können wir es nun einmal nicht. Wir machen das Beste daraus. Morgen liegt ein langer Fahrtag vor uns.
Tag 12 – Puerto Valle - Rafaela
Durch ein unbekanntes Argentinien
Vor uns liegt der zweitlängste Fahrtag auf dieser Reise, der bereits morgens um 06:45 Uhr startet. 900 Kilometer werden wir am Abend, als wir gegen 19:15 Uhr unsere Unterkunft erreichen, hinter uns gebracht haben.
Unsere Fahrt führt uns durch ein vom Tourismus absolut unberührtes Argentinien. Ein Argentinien, was wieder so ganz anders aussieht, als alles, was ich zuvor von diesem Land gesehen habe.
Die Strecke ist lang, aber nicht langweilig. Die Landschaften, die an uns vorbeiziehen, sind grün, flach und von Schwemmland geprägt. Große Sonnenblumenfelder säumen den Weg und immer wieder stehen am Straßenrand die in Rot gehaltenen Gedenkstätten für Gauchito Gil. Über ganz Argentinien verteilt sieht man diese, möglicherweise ist aber hier, im Land von Gauchito Gil, der wie ein Heiliger verehrt wird, das Aufkommen noch höher. Zumindest erscheint es mir so.
Die Provinz Corrientes mit ihrer gleichnamigen Stadt, deren Verkehr und der ausgesprochen ausbaufähigen Beschilderung all unsere Sinne fordert, ist mit einer Brücke mit dem Chaco verbunden. Auf der anderen Seite liegt Resistencia, deren Verkehrsaufkommen noch Beschilderung besser sind als in der Nachbarprovinz. Mir fallen in Resistencia zwei Dinge auf, zum einen die vielen Skulpturen, für die die Stadt bekannt ist und zum anderen doch einige wirklich schöne Häuser.
Nachdem wir auch diese Großstadt hinter uns gebracht haben, führt uns die Straße südwärts, nun westlich entlang den Esteros del Iberá und durch sehr ländliches Gebiet. Nach nicht allzu langem Aufenthalt im Chaco fahren wir über die imaginäre Linie in die Provinz Santa Fe, in deren Millionenstadt Rosario einer der größten Fußballer aller Zeiten geboren wurde, Lionel Messi.
Trotz der langen Autofahrt, nur unterbrochen von einigen Fahrpausen, kann ich mich an der Landschaft nicht satt sehen, selbst dann nicht, wenn sie zuweilen keine Abwechslung verspricht.
Im Vorfeld war es gar nicht so einfach, eine sinnvolle Zwischenstation mit geeigneter Unterkunft auf unserem Weg nach Córdoba und Alta Gracia zu finden. Zu abgelegen ist diese Fahretappe von allen touristischen Pfaden, aber in Rafaela wurde ich dann doch mit dem Hotel Parra fündig.
Rafaela ist ein wirklich kleines hübsches und verschlafenes Örtchen. Kopfsteinpflaster prägen viele Straßenzüge, die rechts und links die typische Bauweise von kleineren Häusern aufweisen, wie man sie auch in manchen versteckten Straßenzügen in Buenos Aires finden kann. Ich weiß gar nicht, warum ich keine Fotos gemacht habe.
Im Hotel ist man trotz Reservierung sichtlich überrascht, als vier deutsche Touristen vor der Rezeption stehen. Es scheint, als seien wir die ersten deutschen Touristen in diesem Hotel. Natürlich wird nur Spanisch gesprochen. Man zeigt uns unsere Zimmer, die über ein eigenes Bad und WC verfügen. Sie versprühen keinen Luxus, aber für eine Nacht werden wir hier gut unterkommen.
Tag 13 – Rafaela – Alta Gracia
Großartige Freundlichkeit und eine Hilfsbereitschaft, die alles andere als selbstverständlich ist
Das Frühstück ist nicht so üppig, wie wir es die vergangenen Tage gewohnt waren, aber auch längst nicht so spartanisch, wie es nicht selten in Unterkünften dieser Kategorie in Argentinien üblich ist. Ein älterer Herr kommt zu unserem Tisch und spricht uns zurückhaltend auf Deutsch an. Er hatte gehört, dass wir uns in Deutsch unterhalten und ist erstaunt, hier in Rafaela diese Sprache zu hören. Wir erfahren, dass er seit langem Deutsch lernt, im Hotel für einige Stunden arbeitet und er sich außerordentlich darüber freut, sich mit uns unterhalten zu können. Wir sind im Hotel scheinbar bereits Gesprächsthema. Eine gute halbe Stunde unterhalten wir uns sehr angeregt mit diesem so freundlichen Herr, aber irgendwann müssen wir aufbrechen. Er organisiert in Windeseile, dass man unsere Autos vorfährt und man uns beim Einladen des Gepäcks hilft. Als wir losfahren, stehen er und mehrere Angestellte der Unterkunft am Seitenrand und winken uns zum Abschied zu.
Während wir noch einige Straßenzüge auf Kopfsteinpflaster, nicht selten von Alleen flankiert, durch Rafaela rauschen, unterhalte ich mich mit meinem Mann darüber, was das gerade für eine schöne und herzliche Begegnung war.
Unser heutiges Tagesziel ist Alta Gracia, doch zuvor wollen wir uns noch die Estancia Jesús María anschauen und ein nicht allzu langer Abstecher führt uns zudem zur Laguna Mar Chiquita, dem flächenmäßig größten See in Argentinien. Wenn wir schon einmal in der Nähe sind, so entscheiden wir, wollen wir zumindest einmal am Ufer dieses Sees gestanden haben. In der Hochsaison soll hier die Hölle los sein. Viele Argentinier verbringen an diesem See ihre Ferien. Jetzt in der Vorsaison wirkt alles verschlafen und strahlt auf mich nicht gerade einen Reiz aus, dass ich unbedingt länger hier verweilen müsste.
Nun gut, den flächenmäßig größten See Argentiniens haben wir gesehen. Wir setzen unsere Fahrt über vom ausländischen Tourismus so unberührten Strecken fort. Wir erreichen einen Streckenabschnitt, an dem plötzlich Tausende kleinere Sittiche die Straße im Tiefflug überqueren. Wir müssen unsere Geschwindigkeit erheblich reduzieren, ständig begleitet von einem Gefühl der Besorgnis, einen oder mehrere der waghalsigen, gefiederten grünen Vögel zu erlegen. So etwas haben wir noch nicht erlebt, es ist geradezu surreal, gleichzeitig faszinierend, aber auch ein wenig unheimlich und lässt uns unweigerlich an Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ denken.
Im nächsten verschlafenen Ort steuern wir die Tankstelle an und sichten unseren Wagen, ob wir nicht doch einen der Sittiche eingefangen haben. Zum Glück ist aber alles gut ausgegangen für Mensch und Tier. Dem Tankwart erzähle ich von diesen gigantischen Vogelschwärmen, woraufhin ich zur Antwort erhalte, dass diese Mengen an Sittichen hier nicht ungewöhnlich und für die Einwohner eine Plage seien. So spannend, wie wir diese tierische Begegnung fanden, so sehr kann ich aber auch die hier lebenden Menschen verstehen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erblicke ich einen Pferdewagen. Das 1 PS zieht eine Ladung Wasserkanister. Diese Szene gefällt mir so gut, dass ich den Fotoapparat hervor hole. Plötzlich steht ein Mann neben mir, den ich zuvor gar nicht gesehen hatte. Als er mir erzählt, dass dies sein Fuhrunternehmen sei und er Wasser ausliefere, höre ich den Stolz in seiner Stimme - und so fährt er fort, ich solle ruhig mehr Fotos machen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen und sehe aus dem Augenwinkel, wie der Herr voller Stolz zu seinem 1 PS starken Gefährt zurückgeht und dieses zum nächsten Kunden steuert. Heute folgt eine nette und bisweilen auch emotionale Begegnung auf die andere.
Auch in der Gegend rundum Córdoba und in Córdoba selbst haben die Jesuiten ihre Spuren hinterlassen. Mehrere Estancias der Jesuiten kann man besichtigen, selbstredend gehören diese zum UNESCO Weltkulturerbe und eine davon steht auf unserem heutigen Tagesprogramm. Die Estancia Jesús María aus dem Jahr 1618 und ist sehr gut erhalten. Hier wurde Wein produziert und sich natürlich auch der Landwirtschaft gewidmet. Außer uns ist gleichzeitig nur eine Schulklasse anwesend, sodass wir den Ort überwiegend wieder für uns alleine haben. Eine ganze Weile streifen wir durch die Gebäude und den kleinen angrenzenden Park, bevor wir uns auf die letzte Etappe begeben, die uns nach Alta Gracia führen soll. Wie abenteuerlich diese werden wird, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Die nun folgende Strecke führt uns von Norden kommend Richtung Córdoba. Wir fahren durch eine grüne Hügellandschaft, durch kleine entzückende Ortschaften, die an Künstlerorte erinnern, in denen gefühlt jeder irgendetwas verkauft. Diese in grün gefärbte Landschaft lässt uns unweigerlich an das schöne Umbrien denken.
Bald erreichen wir die Autopista, auf der sich der Verkehr immer mehr verdichtet.
Laut unserer Karte, die Córdoba nur als kleinen beigen zotteligen Kreis ausweist, führt in einem Halbrund um die zweitgrößte Stadt Argentiniens eine Autopista. Wir müssen lediglich im Norden auffahren und im Süden diese wieder Richtung Alta Gracia verlassen. Das sollte keinerlei Problem darstellen, rein theoretisch. Praktisch und in der Realität fahren wir im Norden auf die Autopista und gleiten im immer stärker werdenden Feierabendverkehr der Millionenstadt dahin, bis plötzlich nach einigen Kilometern die Autopista endet und wir uns bereits schon Richtung Zentrum befinden.
In diesem Moment ist es gut, dass sich der Kartenersteller geografisch woanders befindet als ich. Der Verkehr ist die Hölle, zumeist zweispurig in einer Richtung; zumindest zähle ich das, aber ich zweifle, entweder kann ich nicht zählen oder die Argentinier, die hier unterwegs sind, denn nicht selten fahren eng an eng vier Fahrzeuge. Links und rechts wird überholt, das Einscheren vor dem gerade überholten Wagen wird nicht selten mit wenigen Zentimetern Abstand vollzogen. Zu allem Überfluss gibt es keinerlei vernünftige Ausschilderung. Dann vollbringt mein Mann eine in meinem Augen Meisterleistung, zum ganz großen Glück. Diese Szene in diesem ganzen Verkehrschaos wird mir wohl immer im Gedächtnis bleiben. Zwei Fahrspuren, der mörderische Verkehr und mitten auf der rechten Fahrspur steht wie aus dem Nichts kommend eine Leiter, etwa 2 Meter davor gesichert durch eine niedliche kleine Pylone. Einige Meter weiter oben steht auf der Leiter ein Mann und werkelt irgendetwas am Haus. Es gelingt meinem Mann, sich in eine Lücke zu quetschen und so die Mitnahme der Leiter und des Höhenarbeiters zu vermeiden. Wir wissen kaum, wie wir reagieren sollen, wir sind unglaublich erleichtert, gleichzeitig können wir die Situation kaum begreifen. Dieser Mann hoch oben auf der Leiter muss scheinbar unerschütterliches Vertrauen in die Fahrkünste seiner Landsleute haben. Wir wollen nur irgendwie aus dieser Stadt heraus.
Erleichtert erblicke ich ein Hinweisschild mit den vielversprechenden Lettern, die den Ort Carlos Paz verkünden. Wir folgen den Wegweisern und sind sehr zuversichtlich, bald dieses Verkehrschaos hinter uns lassen zu können. Doch scheinbar hat sich der Schildermaler ein Vorbild am Kartenzeichner genommen und war zu Scherzen aufgelegt oder hatte schlicht und ergreifend keine Lust mehr, weiterzuarbeiten. Die Beschilderung findet ein jähes Ende und wir können erst einmal nur auf gut Glück und nach Orientierung fahren. Es dauert nicht lange und ich habe keinerlei Ahnung, wo wir uns gerade in dieser Stadt, die so gänzlich anders ist als Buenos Aires, befinden. Ich bitte meinen Mann, am Straßenrand anzuhalten und gehe zu einem kleinen Obst- und Gemüsegeschäft. Ich frage, ob wir uns noch in der korrekten Richtung für Alta Gracia befinden. Die Antwort ist ziemlich ernüchternd, natürlich tun wir das nicht. Man erklärt mir die grobe Richtung, irgendwann kann ich es aber nicht mehr aufnehmen, links, rechts, links, geradeaus und so weiter und so weiter. Man verabschiedet mich herzlich mit dem Wort „Suerte“ und ich denke bei mir, was wird da noch auf uns zukommen.
Wir folgen der Wegbeschreibung, soweit ich mich noch daran erinnern konnte und ich verstanden hatte. Ich bitte meinen Mann, diesmal an der nächsten Tankstelle anzuhalten. Mein Plan ist, eine aussagekräftige Karte von Córdoba zu kaufen. Allerdings bin ich zu optimistisch. Hier in der Tankstelle gibt es einige Karten, aber keine von Córdoba und auch das Personal kann mir nicht wirklich helfen. Für das Publikum, das hier verkehrt, wird man wohl auch keine ins Portfolio aufnehmen müssen und wer hat schon mit 4 deutschen Touristen gerechnet, die nun hier hilflos stehen. Irgendwie müssen wir eine Lösung finden, um aus diesem Schlamassel herauszukommen. Ich blicke mich um, im kleinen Tankstellencafé sitzen einige Gäste, trinken Kaffee und lesen Zeitung. Ich versuche, es mir leicht zu machen und frage einfach lauter auf Spanisch in die Runde, ob jemand Englisch spricht. Natürlich nicht, nun gut, zum Glück reicht mein Spanisch für die folgenden Sätze aus und ich erkläre unser Dilemma, dass wir deutsche Touristen auf dem Weg nach Alta Gracia sind, wir uns heillos verfahren haben und nun nicht mehr wissen, wie wir jemals dorthin kommen sollen.
Prompt springen von zwei unterschiedlichen Tischen zwei Männer auf und gehen mit mir nach draußen. Ich frage mich, was sie wohl denken, als sie in drei weitere ratlose Gesichter blicken, die ich wenige Minuten zuvor verlassen hatte. Die beiden Männer, die sich scheinbar zuvor nicht kannten, erklären uns den Weg in nicht enden wollenden Salven argentinischen Spanischs. Dann erkennen sie aber, dass das wohl nicht zum erhofften Ergebnis führt und es passiert etwas, womit ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet hätte. Einer der Männer sagt, er würde uns in seinem Wagen den Weg zeigen, wir sollten hinter ihm her fahren. Gesagt, getan, wir folgen nun diesem so freundlichen argentinischen Herrn mit unserer 2-Wagen-Kolonne. Teilweise ist es tatsächlich in diesem Verkehr nicht einfach, den Wagen nicht aus den Augen zu verlieren, aber wir bemerken recht schnell, dass unser temporärer Guide sehr darauf bedacht ist, dass wir ihm folgen können. Eine ganze Weile fahren wir hinter ihm her. Dann hält er an der Straßenseite und erklärt uns den Weg, dem wir von nun an folgen sollen. Von hier aus wäre es nun ganz einfach, die Verbindungsstraße nach Alta Gracia zu finden. Wir sind so dankbar und wollen ihm Geld für seine Hilfe geben. Er lehnt ganz entrüstet ab, stattdessen werden die Männer mit Handschlag verabschiedet und meine Freundin und ich mit einem Küsschen links und rechts auf die Wange. Was für eine hilfsbereite und herzliche Begegnung! Wir sind schwer beeindruckt und nicht minder erleichtert.
Tatsächlich ist es nun ganz einfach und wir finden den Weg nach Alta Gracia, wo wir recht spät an diesem Tag in unserer Unterkunft, dem 279 Bed & Breakfast, ankommen. Wir haben für die nächsten 4 Nächte gleich das ganze Haus gebucht. Es verfügt über zwei Zimmer.
Sehr herzlich werden wir von Silvia, der amerikanischen Eigentümerin begrüßt. Nicht minder freundlich fällt auch die Begrüßung von Indie, was die Abkürzung für Indiana Jones ist, aus. Indie ist Silvias Hund.
Wir sind noch voller Adrenalin von der Fahrt und erzählen Silvia von unserer Irrfahrt durch Córdoba und bekommen als Antwort, dass es an ein Wunder grenzt, dass wir wieder aus dieser Stadt herausgefunden hätten. Ja, so haben wir das auch empfunden!
„Wer die Abenteuerlichkeit des Reisens ins Blut bekommt, wird diese nicht wieder los.“
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Bruno H. Bürgel