Valles Calchaquíes
Cachi
Valles Calchaquíes
Valles Calchaquíes
vom PN Los Cardones nach Cachi
Valles Calchaquíes
Argentiniens Puna
"La Puna deja huellas" oder "Im Höhenrausch"
- Teil 1 von Buenos Aires bis Cachi -
Prolog
Als wir uns im Jahr 2010 auf der Finca Valentina in Salta während einer 4-wöchigen Argentinien/Chile Reise aufhielten, hörte ich das erste Mal von der Puna Argentiniens.
Aber es war nicht nur, dass ich das erste Mal davon hörte, sondern auch, dass es wahrscheinlich die schönste und einsamste Gegend ganz Argentiniens sei, womöglich sogar nicht nur Argentiniens, sondern des ganzen Hochlandes, das sich über Chile, Bolivien und Argentinien erstreckt. Zugegeben, diese Einschätzung liegt und lag sicherlich im Auge des Betrachters und ist äußerst subjektiv, aber meine Neugier war geweckt; insbesondere, da mich die Atacama bereits schon seit mehreren Jahren in ihren Bann gezogen hatte. Wie immer, begann ich zu recherchieren und das, was ich herausfand, war gerade für uns, die am liebsten als Selbstfahrer unterwegs sind, nicht gerade ermutigend. Reiseliteratur ist über die Puna Argentiniens, die sich über Teile der Provinzen Jujuy, Salta, Catamarca und La Rioja erstreckt, kaum vorhanden. Die gängigen Routen werden beschrieben, tatsächlich haben wir davon schon ein wenig selbst kennenlernen können, aber will man in abgelegenere Teile vorstoßen, wird es wesentlich schwieriger. Ein kompletter, deutschsprachiger Reisebericht ist mir selbst Jahre später über diese Region nicht bekannt, was natürlich nicht bedeutet, dass es keinen gibt. Einige wenige, mit denen ich Kontakt hatte und die schon in dieser Gegend waren, berichteten mir von der Schönheit und gaben ein paar Hinweise.
Meinen Atlas von Argentinien, den ich zwei Jahre später auf der nächsten Reise nach Argentinien erwarb, hüte ich wie einen Augapfel, dient er mir auch Jahre später immer noch als eine unentbehrliche Planungshilfe, wenngleich er sich teilweise schon ein wenig der „Lose-Blatt-Sammlung“ nähert. Aber selbst in diesem Werk sind verschiedene Routen der Puna nicht eingezeichnet, jedoch immer noch mehr als bei dem einen oder anderen digitalen Routenhelferlein. Was ich jedoch herausfand, die Straßen - oder besser Pisten - verlangen nach entsprechenden Fahrkenntnissen, nicht weniger wichtig sind entsprechende Ortskenntnisse, da eine Beschilderung genau genommen sehr oft nicht existent ist. Nicht zu unterschätzen ist zudem für mich die Höhe, auf der man sich bewegt und aufgrund alleine derer eine Panne nicht nur für Individualtouristen äußerst gefährlich werden kann. Immer wieder liebäugelte ich in den vergangenen Jahren, ob wir diese Strecken nicht doch vielleicht alleine meistern könnten, immer wieder kam ich jedoch zu dem ernüchternden Ergebnis, nein, können wir nicht - und dies sogar, ohne im Hinterkopf zu haben, dass diese Pisten für meinen Mann aus gesundheitlichen Gründen keinesfalls zu bereisen sind.
Noch während die Reisefreiheit wegen der allgegenwärtigen Pandemie extrem eingeschränkt war, entschied ich mich dazu, meine Reise in die Puna zu planen. Das war mehr als 18 Monate vor Reisebeginn. Ich kontaktierte eine Agentur in Argentinien, von der ich bereits schon 12 Jahre zuvor gehört hatte und teilte meine Pläne mit. Da ich alleine reisen würde mit einem Guide, wollte ich nicht länger als 2 Wochen unterwegs sein. Wie immer hatte ich genaue Vorstellungen meiner Route und bis auf wenige Änderungsvorschläge der Agentur, die mir sinnvoll erschienen, wurden diese auch exakt so umgesetzt. Dort, wo möglich, setzte ich bei den Unterkünften wieder auf ein wenig Komfort und der Aspekt, der mir bei sechs Reisen in Höhen jenseits der 4.000-Meter-Marke immer sehr wichtig war und mich auch bisher glücklicherweise vor Beeinträchtigungen bewahrt hatte, sollte auch diesmal im Vordergrund stehen; eine langsame, stufenweise Akklimatisierung. Ich hatte keine Lust auf Höhenprobleme mit Ansage, sondern wollte meine Reise mit allen Sinnen genießen. Natürlich kann man diese Probleme niemals ganz ausschließen, aber mit einer entsprechenden sinnvollen Route wollte ich die Möglichkeit von Höhenproblemen soweit wie möglich minimieren.
Während der folgenden Wochen und Monate gingen E-Mails hin und her, bis ich dann final etwa 1 Jahr vor Abreise buchte, immer in der Hoffnung, dass mir die Pandemie die Reise nicht noch verhageln würde. Den Interkontinentalflug, die beiden argentinischen Flugstrecken sowie die letzte Nacht in Buenos Aires buchte ich separat. Nun gut, die Pandemie beruhigte sich zum Glück so weit, dass die Einreisebedingungen nach Argentinien immer mehr gelockert wurden.
Einige wenige Wochen vor Reisebeginn erhielt ich den Namen meines Guides und die Vorfreude stieg, aber auch die Anspannung, ob meine unglaublich hohen Erwartungen an diese Reise erfüllt werden sollten und wie es wohl sein würde, zwei Wochen alleine, zumindest fast immer tagsüber, mit einem englisch- und spanischsprechenden Guide unterwegs zu sein und sich der Einsatz meiner Muttersprache auf wenige Telefonate, dort wo überhaupt möglich, beschränken würde.
Tag 1 – Frankfurt – Buenos Aires
Der Flug nach Ezeiza wird nicht kürzer, egal wie oft man die Strecke fliegt
Mein Mann bringt mich zum Flughafen. Nachdem ich recht schnell das Gepäck eingecheckt habe und wir noch gemeinsam bis dorthin gehen, wo es für Begleitpersonen nicht mehr weitergeht, heißt es nun für die nächsten zwei Wochen Abschied nehmen. Ich hasse diesen Moment, vermisse ich ihn doch schon jetzt, wie gerne hätte ich die Reise gemeinsam mit ihm unternommen. Nun gut, ich wollte es nicht anders und zum Glück bestärkt er mich immer darin, alleine meine Entdeckungen zu machen, wenn er nicht mitreisen kann.
Wie der Zufall es will, befinden sich auf dem gleichen Flug ein Fomi und ihr Mann, mit der ich immer mal wieder maile, so haben wir uns für ein Treffen in der Lounge verabredet, wo wir uns heute persönlich kennenlernen. Bei einem sehr netten Austausch vergeht die Zeit bis zum Boarding sprichwörtlich wie im Flug.
Leider verlässt die Lufthansa Maschine nicht pünktlich Frankfurt, weil wir noch auf Passagiere aus verspäteten Zubringerflügen warten, sodass wir fast 40 Minuten Verspätung haben. Normalerweise ist dies kein Problem für mich, aber ich muss mich nach Ankunft in Buenos Aires sputen, um meinen Anschlussflug mit der Aerolíneas Argentinas zu erreichen. Ich konnte diese Verbindung nicht auf einem gemeinsamen Ticket mit meinem Interkontinentalflug buchen, zudem wird dieser Flug, wie eigentlich alle innerargentinischen Flüge, ab dem innerstädtischen Flughafen Aeroparque Jorge Newberry abfliegen.
Die knapp 14 Stunden verbringe ich mit Essen, Schlafen, Essen und siehe da, befinden wir uns auch schon im Anflug auf den Flughafen Ezeiza.
Tag 2 – Buenos Aires - Salta
Das könnte eng werden mit meinem Anschlussflug
Normalerweise hätte ich mehr als 4 Stunden für den Flughafenwechsel gehabt, was in der Regel reichen sollte. Bisher sind wir bei allen meinen Flügen nach Buenos Aires pünktlich gelandet, manchmal sogar früher als geplant. Allerdings hatte ich noch nie im Anschluss einen Weiterflug, ausgerechnet heute ist das natürlich anders. Zu allem Überfluss hatte ich wenige Tage vor Abreise noch eine Flugzeitenänderung der Aerolíneas Argentinas erhalten, in der mitgeteilt wurde, dass der Flug nach Salta um eine halbe Stunde nach vorne verlegt wurde, so schmilzt mein Zeitpuffer auf unter drei Stunden.
Als ich dann die Schlange vor der Immigration sehe, werde ich ein wenig nervös, zum Glück geht die Einreise dann aber doch zügig vonstatten. Das bisher immer obligatorische Einreiseformular und das Zollformular werden nicht benötigt, ebenso wird der Einreisestempel eingespart. Sicherheitshalber frage ich noch einmal nach, nicht, dass ich bei der Ausreise Probleme bekomme, aber in Zeiten von Corona gab es dann doch die eine oder andere Änderung. Zum Glück hat sich in punkto Gepäckauslieferung nichts geändert und vor allem hat sich diese nicht an die derzeit nicht selten vorkommende Schneckengeschwindigkeit an deutschen Gepäckbändern angepasst, sodass ich bereits nach ganz kurzer Zeit meinen Koffer in Händen halte.
Um Zeit zu sparen, habe ich diesmal entgegen unserer sonstigen Gewohnheiten in Buenos Aires meinen Transfer vorgebucht und dieser wartet bereits. Nach der Begrüßung erfahre ich sogleich, dass wir äußerst knapp in der Zeit liegen und heute „mucho tráfico“ wäre. Na toll, aber ich bleibe ruhig, es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Der Verkehr, der uns erwartet, toppt alles, was ich bisher nach Ankunft in Ezeiza erlebt habe. Erntet die argentinische Fahrweise sonst von mir eher ein Kopfschütteln, bin ich heute über die selbige, die mein Fahrer an den Tag legt, doch recht froh. Er fährt auch nicht die übliche Route, sondern scheinbar eine andere, die zwar ebenso voll von „mucho tráfico“ ist, aber zumindest kommen wir einigermaßen durch, auch wenn wir immer wieder einige Passagen nur in Schrittgeschwindigkeit fahren können.
Als wir dann endlich nach einer gefühlten Ewigkeit vor dem Terminal des Aeroparque Jorge Newberry stehen, bin ich erleichtert, denn es sollte zeitlich klappen, dass ich meinen Flug nach Salta erreiche. Dann schreite ich durch die Eingangstür und meine Erleichterung löst sich sogleich in Luft auf. Kenne ich den AEP nur chaotisch, übertrifft dieser Anblick alles. Unmengen an Menschen stehen in der Abfertigungslinie, die sich in nicht enden wollenden Zick-Zack Reihen fortsetzt. Es ist ein Höllenlärm, man versteht sein eigenes Wort nicht. Müsste ich mich jetzt hier anstellen, könnte ich wahrscheinlich froh sein, wenn ich heute überhaupt noch einen Flug erwische. Zum Glück habe ich Premium Economy gebucht und so schiebe ich mein Gepäck weiter, bis ich einen Flughafenmitarbeiter finde, dem ich meine Misere erkläre. Als ich die beiden Zauberworte „Premium Economy“ erwähne, schickt er mich zum Business Class Check-in und siehe da, hier befindet sich tatsächlich auch der Check-in für Premium Economy der Aerolíneas Argentinas und noch viel besser, es stehen keine zwei Handvoll Passagiere an. So werde ich ein weiteres Mal schnell mein Gepäck los und auch die folgende Sicherheitskontrolle verläuft zügig; ganz entspannt kann ich nun am Gate auf das Boarding warten. Puh, ein wenig nervös war ich schon und hatte bereits in Gedanken durchgespielt, was ich machen werde, wenn ich den Flug verpassen sollte.
Eigentlich bevorzuge ich auf den südamerikanischen Strecken die LAN, jedoch fliegt diese seit geraumer Zeit nicht mehr nach Salta. Aber als ich das Flugzeug der Aerolíneas Argentinas betrete, bin ich dermaßen positiv überrascht, die Premium Economy Class besteht aus vier 2-er Reihen und jeder Platz verfügt über einen extrabreiten, bequemen Sitz. Ein einziger Platz in der Klasse bleibt frei und das ist der neben meinem Gangplatz, sogleich tausche ich diesen gegen den Fensterplatz. Es hat wirklich in mehrerlei Hinsicht gelohnt, dass ich die höhere Klasse gebucht habe. Die knapp zwei Stunden Flugzeit nach Salta verlaufen genauso ruhig, wie der Flug zuvor mit der Lufthansa.
In Salta werde ich von meinem Guide für die nächsten zwei Wochen freundlich empfangen. Er fährt mich zur Finca Valentina, in der wir bereits 12 Jahre zuvor gewohnt haben und die keine halbe Stunde Fahrtzeit vom Flughafen entfernt liegt. Hier werde ich die nächsten beiden Nächte verbringen.
Den verbleibenden Rest des Tages ruhe ich mich aus, mache einige Fotos der Unterkunft und genieße abends noch das hervorragende Essen, das aus einem superleckeren Quinoa-Risotto, einer vegetarischen Lasagne und Flan zum Dessert besteht.
Tag 3 – Salta
Salta, immer noch „La Linda“
Ich habe gut geschlafen, es war doch eine sehr lange Anreise. Vom Verlassen meines Zuhauses bis zur Ankunft in der Finca Valentina war ich 25 Stunden unterwegs. Zum Ankommen empfinde ich es ideal, zwei Nächte in Salta auf einer Höhe von etwa 1.200 Metern zu verbringen. Außerdem bevorzuge ich es sehr, langsam in eine Reise einzusteigen und nicht gleich am ersten Tag volles Programm zu haben. In Salta bin ich bereits das dritte Mal, das erste Mal waren wir vor 12 Jahren in der Stadt, als ich mit meinem Mann und zwei Freunden unterwegs war und ein weiteres Mal vor 5 Jahren in der gleichen Besetzung. Bei dieser Reise haben wir allerdings nur übernachtet, um am folgenden Tag direkt nordwärts aufzubrechen in Richtung Bolivien.
Den Besuch im MAAM (Museo de Arqueología de Alta Moñtana) lassen wir auf meinen Wunsch hin aus, da ich das Museum bereits kenne. Das MAAM wurde gegründet, nachdem im März 1999 auf dem Gipfel des Vulkans Llullailco (6.739 Meter) drei Kindermumien der Inkas gefunden wurden. Mein Guide parkt in einer Parkhalle direkt an der zentralen Plaza 9 de Julio. Dort kann ich nicht umhin, einen Wagen, dessen Aussehen mich fasziniert, auf meiner Speicherkarte festzuhalten. Als mein Guide sieht, dass ich diesen Wagen fotografiere, bricht er in schallendes Gelächter aus, denn dieser gehört einem Freund von ihm und es scheint trotz des Aussehens ein sehr zuverlässiges Gefährt zu sein. Zumindest werde ich mich in zwei Tagen davon überzeugen, als er mir zeigt, welche Strecke die beiden in diesem Vehikel zurückgelegt haben. Ich denke bei mir einmal wieder, beurteile niemanden und auch kein Vehikel nur nach dem Aussehen.
Unser erstes Ziel ist das Cábildo. Das Rathaus beherbergt das Museo del Histórico del Norte, in dem unter anderem alte Gefäße für die Asche von Verstorbenen ausgestellt sind. Diese wurden mitsamt Inhalt im Boden der Häuser vergraben, sodass die Ahnen immer nah bei der Familie sein konnten. Im Innenhof des Cábildo führt eine Gruppe älterer Damen mit ihren selbstgebauten Blasinstrumenten aus Papier, die mich unwillkürlich an Vuvuzelas erinnern, einen Samba auf. Diese namensgleiche, aus dem Indigenen stammende Musik, klingt so ganz anders, viel trauriger und melancholischer, als der bekannte Samba aus Brasilien. Ich erfahre von meinem Guide, dass tatsächlich die einzige Gemeinsamkeit beider Musikrichtungen der Name ist. Bisher hatte ich noch nie von diesem Samba gehört, wieder etwas gelernt.
Die Kathedrale hatte bei unserem ersten Besuch geschlossen, diesmal kann ich hineingehen. Interessant finde ich, dass die auf den ersten und entfernten Blick prachtvolle Ausstattung sich vielfach als Bemalung entpuppt. Hier war einfach nicht genug Geld vorhanden, um die Kirche ähnlich prachtvoll auszustatten, wie ich dies zum Beispiel in Quito gesehen habe. In dieser Kathedrale befindet sich die letzte Ruhestätte von Martín Miguel de Güemes, einem Held Saltas, der sich besonders im Unabhängigkeitskampf hervorgetan hatte. Neben ihm sind noch weitere Persönlichkeiten im Panteon des las Glorias del Norte bestattet.
Da sich vor der wunderschönen Iglesia San Francisco mit dem 50 Meter hohen Campanile doch einige Menschen aufhalten, diese seinerzeit bei unserem ersten Besuch nicht geschlossen hatte und wir uns den Innenraum ansehen konnten, reichen mir heute ein paar wenige Fotos von außen.
Auf dem Weg zurück zum Wagen kann ich einfach nicht widerstehen und erwerbe ein plüschiges Lama. Es ist einfach zu süß und ich taufe es auf den Namen Juanita Blanca.
Mein Guide überlässt mir für das folgende Ziel die Wahl, Seilbahn oder Auto, ich entscheide mich für Letzteres und damit fahren wir zu dem Aussichtspunkt auf dem Cerro San Bernardo. Von hier oben kann man die Stadt sehr gut überblicken. Es gibt einige kleine Wasserkaskaden und rundherum stehen Ceiba-Bäume und Lapachos, dessen Blüten in Pink, Gelb und Grün blühen können.
Salta wird gerne als die schönste Stadt Argentiniens bezeichnet und trägt den Beinamen „La Linda“. Mir gefällt sie nach wie vor auch sehr gut mit ihren spanisch geprägten Bauten im Ortszentrum und dem äußerst angenehmen Klima.
Zum Abschluss fahren wir nach San Lorenzo zur dortigen Quebrada. San Lorenzo liegt zwar höher als Salta, ist aber viel grüner, da sich der Ort, in dem sich wohlhabendere Einwohner Saltas niedergelassen haben, nicht mehr im Bereich der Anden befindet, sondern bereits in den Yungas. Insgesamt reißt mich diese Quebrada alles andere als vom Hocker, mein Guide wollte mir hauptsächlich zeigen, dass es unweit der Anden das Grün der Yungas gibt. Mein Ziel ist jedoch die Puna, der ich mich ab morgen so langsam nähere. Möglicherweise wäre mein Urteil zur Quebrada de San Lorenzo in der Regenzeit und/oder mit der Sichtung eines Tukans anders ausgefallen.
Die verbleibenden Stunden genieße ich noch auf der Finca. Abends esse ich dort ein weiteres Mal sehr gut. Nach einem etwas geruhsameren Einstieg freue ich mich nun sehr auf den morgigen und die folgenden Tage.
Tag 4 – Salta - Cachi
Hat man die Wand des Bischofes gemeistert, wird man mit einem bezaubernden Ort belohnt
Morgens zeigt mir die unglaublich freundliche Managerin der Finca noch weitere Zimmer, die ich mir sehr gerne anschaue. Pünktlich fährt mein Guide mit dem Pickup vor, der uns die nächsten knapp zwei Wochen als treuer fahrbarer Untersatz dienen soll. Zur Ausstattung gehört selbstverständlich ein gutes Reserverad, aber auch fünf Kanister mit jeweils 20 Liter Diesel sind auf der Ladefläche befestigt. Außerdem führen wir ein satellitengestütztes Gerät mit uns, über das mein Guide mehrmals pro Tag unseren Standort an die Agentur melden wird, damit im hoffentlich nicht eintretenden Fall der Fälle Rettung nahen kann. Ausreichend Wasser ist ohnehin an Bord.
Mein kleines Abenteuer kann nun also beginnen, wobei es sich allerdings die nächsten zwei Tage noch sehr in Grenzen halten wird, von Abenteuer kann da eigentlich noch nicht die Rede sein. Ich habe ganz bewusst die folgenden beiden Nächte in Cachi eingeplant, da zum einen dieser Ort auf 2.280 Metern ideal ist, um mich langsam, aber stetig an die Höhe zu gewöhnen und zum anderen haben wir damals als Selbstfahrer die Route von Salta nach Cafayate via der Valles Calchaquíes bereist. Dummerweise hatte ich diesen Abschnitt nicht optimal geplant, sodass für Cachi nicht viel mehr als ein Fotostopp übrig blieb. Aber alleine dieser Stopp zeigte mir seinerzeit, wie bezaubernd ich diesen Ort finde. (Wer gerne mehr über diese Selbstfahrerreise lesen möchte, findet diese unter dem Titel „Atem(be)raubende Landschaften, ein Auto mit Soroche und Geschichten von Pisco, Torrontés, Quilmes und Submarino“ der Reise Argentinien & Chile aus dem Jahr 2010.)
Nicht lange, nachdem wir Salta verlassen haben, lassen wir irgendwann auch zeitweise die Asphaltstraße hinter uns – zumindest für einen Teil der Passage der Cuesta del Obispo. Der Name bedeutet so viel wie Bischofswand und soll auf einen Bischof zurückzuführen sein, der vor ein paar Hundert Jahren den Abstieg ins Tal gewagt hat. Ich weiß nicht, ob er nicht wieder herausgefunden hat und daher der Name des Bischofs nicht bekannt ist oder ob es einen anderen Grund dafür gibt.
Waren wir auf dieser Strecke vor 12 Jahren so gut wie alleine unterwegs, hat jetzt der Verkehr zugenommen. Immer wieder finden sich am Straßenrand einzelne Verkaufsstände, aber von Massentourismus kann beileibe keine Rede sein. Würde ich diesen Abschnitt nicht bereits als sehr einsam kennen, würde ich ihn nun als äußerst wenig frequentiert beschreiben.
Am Himmel über uns kreisen Vögel. Ich frage mich, ob es sich um Kondore handelt, ich kann es nicht richtig erkennen. Mein Guide erklärt mir, dass es Jotis sind, ebenfalls Aasfresser, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Kondoren haben, jedoch viel kleiner sind und bei Weitem nicht so hoch fliegen. Unterscheiden kann man die Arten sehr gut dadurch, wenn man weiß, dass bei Jotis die Flügel im Flug zur Seite, während sie bei den Kondoren eher nach vorne zeigen. Nicht zum letzten Mal auf dieser Reise mit Guide werde ich feststellen, dass man mit einem guten Guide seinen Wissensschatz erweitern kann. Leider habe ich in der Vergangenheit schon ganz andere Erfahrungen mit Guides gemacht.
Mein Guide hält für einen Fotostopp; ich laufe etwa 200 Meter die hier noch asphaltierte Straße hinunter, da ich einen kleinen Verkaufsstand gesehen habe. Hinter dem Tisch sitzt ein kleines Mädchen, ich frage sie nach ihrem Alter und erhalte die Antwort, sie sei drei Jahre alt. Die Mutter tritt hinter einer Plane vor, lächelt mich freundlich an und ich kaufe einen kleinen Schlüsselanhänger mit Stofflama für wenig Geld.
Fast am höchsten Punkt mit Aussicht auf die sich in Serpentinen heraufschälende Straße halten wir das nächste Mal. Waren wir damals alleine, haben sich hier mittlerweile einige Verkaufsstände mit Gewürzen, Wurst und Queso de Cabra (Ziegenkäse) ausgebreitet. Es werden auch Ritte mit Pferden angeboten. Als man mir dies anbietet, lächle ich freundlich, schummele jedoch ein wenig, da ich gerade eher an Fotos und Erinnerungen als an Konversation interessiert bin, und antworte, dass ich leider nichts verstehe. Daraufhin lässt man mich auch sofort wieder in Ruhe. Mehr noch, nachdem ein weiterer Pferdebesitzer mich anspricht, sagt ihm der andere, dass ich nichts verstehen würde und sofort wendet man sich den wenigen anderen argentinischen Touristen zu.
Beim Piedra del Molino, dem „Mühlstein“, haben wir den höchsten Punkt für heute erreicht. Hier auf 3.457 Metern steht nicht nur der Mühlstein, sondern auch die kleine Capilla San Rafael, in der sich im dunklen Innenraum auf einem Tisch Zigaretten und Cocablätter für Pachamama finden – Opfergaben, die typisch sind für die allgegenwärtige Vermischung des katholischen und indigenen Glaubens.
Mein Guide lässt mich einige Kilometer später an einem Pfad aussteigen. Ich laufe alleine eine Weile zu einem Aussichtspunkt. Ich empfinde es als sehr angenehm, dass er mich nicht auf Schritt und Tritt begleitet. Würde ich das wollen, würde er das tun, aber so habe ich meinen Freiraum.
Wie durch Zauberhand führt ein kerzengerades Asphaltband von 18 Kilometern durch die Ebene der Recta Tin-Tin. Ein wenig schmunzeln muss ich über den Zebrastreifen hier in der Einsamkeit der Hochebene. Überall aus dieser Ebene ragen meterhohe Kandelaberkakteen, die jetzt im Frühjahr Blüten tragen. Diese Kandelaberkakteen können eine Höhe von 10 Metern erreichen und müssen erst 50 Jahre alt werden, bis sie blühen. Das ist das Gebiet des Parque Nacional Los Cardones und hier befindet sich auch ein sehr kurzer Weg entlang dieser stacheligen Riesen im Parque Nacional Los Cardones. In vielen dieser Kakteen haben Spechte ihre Löcher in den Stämmen hinterlassen.
Am Ende des schnurgeraden Asphaltbandes befindet sich ein größerer Verkaufsstand unterhalb einiger Ruinen. Von hier aus hat man einen schönen Blick auf den Nevado de Cachi (6.380 Meter) mit seinen weißen Eisfeldern in der Ferne vor blauem Himmel. Eine Familie verkauft Gewürze und Eingemachtes, auch mein Guide deckt sich ein. Von ihm erfahre ich, dass diese Familie mit nur einem Tisch vor einigen Jahren ihr Geschäft begonnen hat und nun immer weiter expandieren konnte, weil ihre Produkte so gut sind, dass sogar viele Argentinier von weiter entfernt anreisen, um diese zu erwerben.
Im kleinen Ort Payogasta bitte ich um einen Fotostopp, weil mir eine Häuserzeile so gut gefällt. Payogasta hat eine unregelmäßige Struktur, d. h. der Ort ist nicht in Quadrate aufgeteilt, auch wenn der Ort auf Elemente der spanischen Kolonialzeit zurückzuführen ist. Die Häuser sind vielfach aus Adobe gefertigt und zumeist unterschiedlich groß, verfügen jedoch fast immer über einen Patio, auch wenn dieser nicht selten klein ausfällt. Ich laufe ein wenig umher, bevor mich einige Zeit später mein Guide wieder einsammelt.
Nun ist es nicht mehr weit bis Cachi mit seinen etwa 5.500 Einwohnern. Wir fahren zu meinem gebuchten Hotel, dem El Cortijo, das nicht allzu weit entfernt von der zentralen Plaza liegt. Kaum habe ich es betreten, weiß ich, diese Unterkunft war die richtige Wahl und ebenso, dass ich um Buchung eines hochwertigeren Zimmers mit Terrasse gebeten habe. Hier werde ich mich die nächsten zwei Nächte so richtig wohlfühlen, davon bin ich überzeugt.
Da ich bereits schon am Morgen meinem Guide gesagt habe, worin insbesondere meine Interessen liegen und worin eher weniger, fragt er mich, ob wir zum Friedhof fahren sollen. Sehr gerne, lautet meine Antwort. Er lässt mich am Eingang des auf einem Hügel außerhalb des Ortes liegenden Friedhofs aussteigen und wird auf mich warten. Ich soll mir so viel Zeit nehmen, wie ich möchte. Ausgiebig schaue ich mich um, mache Fotos, staune über die Lage des Ortes und fühle mich zwischenzeitlich tatsächlich ein wenig „scared“, bin ich hier doch so ganz alleine unterwegs. Einige Gräber bestehen lediglich aus einem Steinhaufen mit Holzkreuz, andere wiederum befinden sich in einem Mausoleum. Nach einiger Zeit verlasse ich diesen Ort und mein Guide bringt mich zurück zum Hotel. Wir besprechen geschwind die Zeit der Abholung für den Folgetag und den Rest des Nachmittags habe ich für mich ganz alleine.
Nach einem kurzen Stopp auf meinem Zimmer und einem Telefonat mit meinem Mann gehe ich ins überschaubare Zentrum des kleinen, bezaubernden Ortes. Langsam verspüre ich Hunger, es ist jedoch zu spät für Mittagessen und zu früh für Abendessen. Ich finde ein Restaurant, das geöffnet hat und wähle die einzige Speise, die um diese Uhrzeit im Angebot ist, Empanadas. Ich entscheide mich für zwei Empanadas mit Quinoa- und eine mit Queso-Füllung, die alle ausgezeichnet schmecken werden. Als Nachtisch hole ich mir in der Panadería gegenüber ein Teilchen mit Vanillepudding, mit dem ich mich auf einer Bank im kleinen Park niederlasse.
Kaum verspeist gehe ich in die Kirche und halte diese sowie das angrenzende Museum auf meiner Speicherkarte fest.
Ich schlendere durch mehrere Gassen, in denen mir nur hier und da einige Einheimische begegnen. Alle grüßen mich äußerst freundlich. Ich finde Cachi einfach nur bezaubernd, auch wenn es nicht mehr ganz so im Dornröschenschlaf liegt wie noch vor 12 Jahren und sich mehr dem Tourismus geöffnet hat.
Es ist kurz nach 19:00 Uhr, als ich durch die Tür meines Hotels trete. Es war ein wirklich schöner Tag.
„Wer die Abenteuerlichkeit des Reisens ins Blut bekommt, wird diese nicht wieder los.“
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Bruno H. Bürgel