Südgeorgien & Antarktika 2014 Teil 1 - von Buenos Aires nach Südgeorgien


Südgeorgien und Antarktika

Die Appendix-Trilogie, Teil 2:

Ohne Herrn Appendix auf Sir Ernest Shackletons Spuren

- Teil 1 von Buenos Aires nach Südgeorgien -


Prolog 

 

Irgendwann in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sah ich die erste Dokumentation über Südgeorgien. Diese Dokumentation, insbesondere die dort gezeigte unglaublich große Population von Königspinguinen, weckte ihn mir die große Sehnsucht, einmal diese Gegend der Erde mit eigenen Augen zu sehen. So stand für mich fest, falls ich mir jemals eine Reise in die Antarktis erfüllen könnte, dann wäre Südgeorgien ein absolutes Muss auf der Route. 


In den vergangenen Jahren ließ ich des Öfteren mal bei meinem Mann diesen Reisewunsch fallen, aber aufgrund der Preise und des Wissens um meinen nicht gerade als seetauglich zu bezeichnenden Gleichgewichtssinn, haben wir dieses Ziel dann nie richtig ernsthaft verfolgt. 


Vor wenigen Jahren stolperte ich dann mal eher zufällig über eine Reise mit der MS Delphin. Die Preise waren um einiges niedriger als bei anderen Schiffen, die ich mir bisher so angeschaut hatte. Dafür wurde dann mit einer höheren Zahl an Passagieren gefahren, aber irgendwo muss der Preisunterschied begründet sein. 


Dann erfuhr ich, dass die MS Delphin nicht mehr unter Hansakreuzfahrten fuhr, somit schob ich diese Wunschreise ein weiteres Mal nach hinten, ohne es jedoch in meiner Wunschreiseliste von einem der vordersten Plätze zu streichen. Irgendwann würde sich hoffentlich die Möglichkeit ergeben und ich hoffte sehr, wenn es dann soweit wäre, dass uns auch der Gesundheitszustand meines Mann und mir keinen Strich durch die Pläne machen würde. Denn jeder, der in die Antarktis reist, muss vorab einen medizinischen Fragebogen ausfüllen, aufgrund dessen dann entschieden wird, ob man reisetauglich für dieses Zielgebiet ist. Eine medizinische Hilfe in diesem abgelegenen Gebiet ist nicht so einfach möglich, so kann z. B. kein Helikopter die Strecke vom südamerikanischen Festland in die Antarktis zurücklegen. Gerade dieser Punkt, den ich aber bis vor einiger Zeit zur Kenntnis genommen, aber nicht besonders tief bedacht hatte, wird wohl aufgrund unserer persönlichen Erfahrung auf der vorhergehenden Namibiareise zukünftig leider noch mehr in unsere Reisevorbereitungen einfließen. 


Nun hatten wir schon ein gutes Jahr im Voraus unsere Reise ins südliche Afrika für den Herbst gebucht und als ich dann die Reiseroute der MS Delphin, die wieder ihre Reisetätigkeit - nun unter Passatkreuzfahrten - aufgenommen hatte, Ende des vorletzten Jahres in den Händen hielt, fragte ich meinen Mann. Eigentlich dachte ich nicht, dass er zustimmen würde, da nur wenige Wochen zwischen beiden Reisen lag, aber er schaute sich alles an und sagte „Ja, okay, lass‘ es uns machen, aber vergiss‘ nicht, dass Du Probleme mit Mr. Seasick bekommen könntest.“ Die Erfahrungen mit Reisen auf dem Wasser, die wir bisher gemacht haben, egal für wie lange und auf welchem Boot oder Schiff jeglicher Größe, haben gezeigt, dass sich Mr. Seasick immer hat blicken lassen. Ich war jedoch wild entschlossen, den Kampf mit Mr. Seasick für mein Wunschziel aufzunehmen. 


Daraufhin buchte ich sofort; allerdings die Kreuzfahrt und noch eine kurze Verlängerung am Ende in Ushuaia und in Buenos Aires sowie auch die Flüge separat. Wir wollten nicht direkt vom Schiff in den Flieger nach Buenos Aires steigen, der schon fast 4 Stunden nur für die Strecke Ushuaia – Buenos Aires benötigt, dort den Flughafen wechseln und anschließend weiter nach Hause. So hängten wir noch wenige Tage dran, mehr wollten wir zu Jahresanfang auch nicht gleich von unseren Urlaubstagen verplanen. Darüber hinaus entschieden wir uns auch nach einigem Überlegen für eine bessere Kabinenkategorie. Schließlich sollte dies auch unser Zuhause für mehr als zwei Wochen sein und diese Reise würde wohl auch eher unter die Kategorie „einmal im Leben“ fallen. Diese Entscheidung sollten wir auch nicht bereuen.


Dann kam aber leider Herr Appendix dazwischen, sodass wir uns noch bis wenige Wochen vorher, genauer gesagt, bis zur nächsten Stornokostenstufe offen gelassen haben, ob wir die Reise nicht noch möglicherweise absagen müssen. Aber zum Glück ging es mir dann wieder gut und nach Rücksprache mit meinem Arzt und auch insbesondere im Hinblick darauf, dass die Erholung im südlichen Afrika gleich Null war, entschieden wir dann Anfang Dezember, dass wir die Reise machen werden. 


Die Vorfreude, die nach dem Verlust von Herrn Appendix eine Weile nicht vorhanden war, kam dann auch wieder ganz schnell und genauso stark zurück, wie wir es kannten, als wir noch gemeinsam mit Herrn A. reisten.


Ein bisschen Skepsis begleitete uns jedoch, da wir nicht richtig einschätzen konnten, wie uns eine Kreuzfahrt, auch wenn es eine „Expeditionskreuzfahrt“ ohne Kleidungszwang bei Essen u. ä. und mit interessanten, wissenschaftlichen Vorträgen statt vieler Unterhaltungsprogramme werden sollte, gefallen würde. Na ja, ganz ohne Kleidungszwang ist wohl falsch beschrieben, Gummistiefel, die auch für diese Temperaturen beschaffen sein sollten sowie dicke, wasserdichte Hosen hatten wir schon vor Monaten angeschafft. Wir waren also gerüstet und zumindest mit unseren Gummistiefeln besser ausgestattet als zu seiner Zeit Sir Shackleton für unsere Reise auf den 6. Kontinent. 


Tag 1 und Tag 2 - Buenos Aires

ein langer Flug in eine uns gut bekannte Stadt


Sir Ernest Shackleton hatte eine längere Anreise als wir nach Buenos Aires. Außerdem musste er die Anreise auf einem schwankenden Schiff hinter sich bringen. Ob sich ihm Mr. Seasick gezeigt hat? Ich nehme mal an, eher nicht. Stattdessen hat er (natürlich unwissend) einen blinden Passagier in Buenos Aires aufgelesen ... der sich den späteren Verlauf seiner Reise wohl gänzlich anders vorgestellt hatte und sich möglicherweise auch überlegt hätte, lieber seine Füße auf dem Festland zu lassen, hätte er gewusst, wie sich die weitere Endurance-Expedition gestalten würde.


Unser Flug in einem Lufthansa Jumbo – noch ohne Mr. Seasick und von einem blinden Passagier ist mir auch nichts bekannt – startet pünktlich gen Ezeiza, den internationalen Flughafen von Buenos Aires. Die Crew ist wieder sehr freundlich und der Service stimmt. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn von schlechtem Service und/oder unfreundlichem Personal bei der LH berichtet wird. Dieses haben wir bisher noch auf keinem unserer LH Flüge erlebt. Auch haben sie beim Kranich-Flieger aufgerüstet, und es gab diesmal Inseat-Entertainment in unseren Eco-Sitzen – diesen Komfort hatte Sir Shackleton auch sicherlich nicht, wenngleich ich denke, vermisst haben wird er ihn auch nicht. Nichtsdestotrotz zogen sich für uns die 13 ½ Stunden Flug. 


Es war das erste Mal bei meinen bisherigen Anflügen auf Buenos Aires, dass wir vom Rio de la Plata, der riesigen Flussmündung zwischen Argentinien und Uruguay, über die Stadt einflogen. So konnte ich einen guten Blick aufs Microcentro mit der Avenida de 9 de Julio und den Obelisken aus dem Flugzeugfenster werfen. Selbst von hier oben, wo der ganze Rest dieser Stadt mit ihren 14 Millionen Einwohnern noch relativ klein aussieht, wirkt diese wohl weltweit breiteste Straße imposant. Zugleich stellte sich bei mir wieder dieses wunderbare Gefühl ein, dass ich jedes Mal verspüre, wenn wir nach Chile und/oder Argentinien fliegen. 


Im Einreisebereich hat sich einiges zu unserer letzten, keine zwei Jahre zurückliegenden Reise geändert und wir müssen nicht mehr so lange anstehen. Der Einreisebeamte ist ausgesprochen freundlich. Im Ankunftsterminal hingegen ist es wie immer, Chaos und Hochbetrieb. Wir kämpfen uns durch die Menschenmengen und lassen uns mit einem Remise von Manuel Tienda Leon in die Innenstadt zu unserem Hotel Galerias im Microcentro fahren. Die Wahl fiel diesmal auf das Hotel Galerias, weil es einerseits sehr zentral liegt und wir andererseits aufgrund der äußerst frühen Ankunft zu einem sehr guten Preis bereits sehr früh einchecken konnten.


Am nächsten Morgen sollte es auch bereits auf unser Schiff gehen. Nach Bezug des Zimmers legten wir uns erst einmal hin. Es war jetzt der vierte Besuch für mich in der Stadt der guten Lüfte, sodass wir auch kein allzu großes Besuchsprogramm eingeplant hatten. Bisher waren wir immer im dortigen Frühling bei ausgesprochen angenehmen und sonnigen Temperaturen in der Stadt. Diesmal, im Januar, war es ziemlich heiß und schwül, und es empfing uns ein bedeckter Himmel. Dafür waren wir überrascht, wie vergleichbar leer die Stadt jetzt war. Die Porteños zieht es um diese Zeit ans Meer. 


Aufgrund des Rats eines Reisemediziners begann ich bereits heute damit, mich für meinen Kampf mit Mr. Seasick in Form der Einnahme von Reisetabletten zu wappnen. Mr. Seasick sollte gewarnt sein, dass ich gut vorbereitet war und jederzeit bereit sein würde, es mit ihm aufzunehmen, schließlich hatte ich mich auch schon von Herrn Appendix unter ungünstigen Umständen verabschiedet.


Am späten Nachmittag liefen wir noch ein wenig durchs Microcentro und ich kaufte ein paar spanischsprachige Musik CDs, die ich – manchmal zum Leidwesen meiner Umgebung – zu gerne höre, um dann doch recht früh und sehr müde ins Reich der Pinguin-Träume zu fallen. 


Tag 3 – Einschiffung in Buenos Aires

Temperatur: bis 28° Celsius, sonnig

Sonnenaufgang: 05:48 Uhr, Sonnenuntergang: 20:11 Uhr


Den Morgen haben wir ruhig angehen lassen und frühstückten erst einmal ausgiebig. Gegen Mittag fuhr uns dann ein Taxi zum Hafen, wo wir zuerst unsere Koffer abgaben und anschließend durch die Sicherheitskontrollen gingen. Da man sich im Hafenbereich von Buenos Aires nicht alleine zu Fuß bewegen darf, stiegen wir in einen Bus, der uns zur MS Delphin, unserem schwimmenden Zuhause für die nächste Zeit, bringen sollte. 


Wir fuhren zum Pier, wo die MS Delphin lag. Auf einem der hinteren Decks sah ich gleich die acht Zodiacs, die uns in Südgeorgien und der antarktischen Halbinsel vom Schiff zum Land und wieder zurück transportieren sollten. Beim Anblick dieser Zodiacs stieg meine Vorfreude noch einmal, gleichzeitig fand ich es auch aufregend, diesen kleinen Hauch von Abenteuer, wenn auch gut organisiert, zu verspüren. 


Neben dem größten Feind auf dieser Reise, die Badezimmertür (wie wir später vom Expeditionsleiter hörten, denn niemals sollte man sich im Türrahmen festhalten, da eine Schiffsbewegung die schwere Badezimmertür zufallen lassen kann), würde ich gleich folgend die Kalorienzufuhr anführen. Kaum hatten wir an der Rezeption unsere Kabinenkarte bekommen, konnten wir sofort durchgehen ins Restaurant zum Mittagessen, wo heute Mittag noch freie Platzwahl war. 


Schräg hinter uns sitzend, konnten wir nicht umhin, einem Gespräch zuzuhören. Eine Dame erzählte einem Paar lautstark von ihren bisherigen vielen Kreuzfahrten und sagte, dass sie bisher noch nie Gummistiefel gebraucht hätte auf einer Kreuzfahrt und sie für diese auch keine dabei hätte … na gut, dachte ich bei mir, da wird wohl ein Platz mehr im Zodiac frei. 


Den Rest des Tages ließen wir ruhiger angehen, schauten uns das Schiff an, machten uns vertraut mit dem Programm und bezogen unsere Kabine, die sich als äußerst komfortabel herausstellte und in der wir uns sehr wohl fühlen sollten.


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Wir – als Amateur-Seefahrer – mussten uns erst einmal an den Begriff Kabine gewöhnen, sehr oft verwendeten wir in den ersten Tagen noch den Begriff Zimmer. Bei einer Bewerbung auf die berühmte Stellenausschreibung von Sir Ernest Shackleton für die Endurance-Expedition hätte ich mich wohl damit gleich disqualifiziert.

Im Bordmanifest, das ich schon vor Monaten eingeschickt hatte, hatten wir als Tischwunsch eine 4er Belegung angegeben, auch wenn meine Recherche ergab, dass diese keinen Fensterplatz hatten. Gleichzeitig hatte ich noch den Wunsch geäußert, Passagiere unseres Alters zu uns zu setzen. Zu unserer Freude bekamen wir einen 4er Tisch direkt am Fenster (insgesamt sah ich nur zwei davon), ich nehme an, unsere gebuchte hohe Kabinenkategorie war der Grund dafür. Zum Abendessen lernten wir dann auch unsere Tischnachbarn für die nächste Zeit kennen. Es waren zwei Herren unseres Alters und wir verstanden uns sofort. Auch sie hatten die Kabinenkategorie wie wir gebucht. Im Verlauf der Reise haben wir gemeinsam viel gelacht und die Chemie stimmte.


Obwohl mein Gleichgewichtssinn bereits am Mittag beim Betreten auf das fest vertaute Schiff ein ganz leichtes Schwanken vermeldete, und dieses Gefühl auch nicht mehr verschwand, hatte ich heute mit tatkräftiger Unterstützung von Reisetabletten einen Punkt gegen Mr. Seasick erzielt. Ist es unnötig zu sagen, dass mein Mann heute keinerlei Bewegung auf dem Schiff feststellte?


Mr. Seasick - ich = 0:1


Tag 4 - Buenos Aires

Temperatur: bis 30° Celsius, weitgehend sonnig

Sonnenaufgang: 05:49 Uhr, Sonnenuntergang: 20:11 Uhr


Das Schiff lag an diesem Tag noch in Buenos Aires, das Ablegen in unser kleines Abenteuer war für 01:00 Uhr nachts geplant. Wir hatten für den heutigen Tag keinen der angebotenen Ausflüge gebucht, da wir zum einen schon vieles kannten und zum anderen keine Lust auf eine Ganztagestour zu einem doch sehr touristischen Ausflug auf eine Estancia in der Nähe von Buenos Aires mit mehreren Busladungen hatten. 


So entschlossen wir uns, auf eigene Faust in die Stadt zu ziehen. Wir liefen kreuz und quer, vieles kam uns so bekannt vor, dass wir in dem Gebiet noch nicht einmal einen Stadtplan brauchten. Leider spielte das Wetter nicht so recht mit, nicht nur dass sich zwischendurch immer mal wieder der Himmel verdächtig zuzog und ein wenig Nieselregen herunterkam, nein, es war zudem noch sehr schwül. Das Wetter im Frühling, wie wir es bisher in Buenos Aires kennengelernt hatten, gefiel uns wesentlich besser.


Wir liefen zur Plaza de Mayo, wo wir das Museum hinter der Casa Rosada besuchen wollten. Demonstrationen in Buenos Aires hatten wir schon einige gesehen, diesmal wunderten wir uns jedoch über die ausgesprochen vielen Transparente auf dem Plaza de Mayo und auch die Gitter, die den Platz in der Mitte abtrennten. Durch Spalten, durch die man als Fußgänger gehen konnte, gingen wir Richtung Casa Rosada. Uns kamen zwei Polizisten entgegen, und ich fragte einen der beiden, wo genau dieses Museum, von dem ich gelesen hatte, denn wäre. Er zeigte es uns und sagte gleichzeitig, dass es zurzeit geschlossen wäre. Schade, wir beschlossen daraufhin, einen Besuch auf unseren Aufenthalt nach der Kreuzfahrt zu verlegen. 

Wir gingen zurück und standen gerade mitten auf dem Plaza de Mayo, als es dermaßen zu regnen begann, dass unsere Schirme dem nichts mehr entgegenzusetzen hatten und binnen Sekunden das Wasser zentimeterhoch auf dem Boden stand. Hier hätten wir gleich einmal unsere Gummistiefel zum Einsatz bringen können … nur dumm, dass diese aber leider in der Kabine standen.


Wir liefen Richtung eines Unterbaus am Rande der Plaza, der von Demonstranten errichtet wurde. Am Eingang fragte ich in die Runde, ob wir reinkommen könnten. Man winkte uns unverzüglich hinein, schleppte Stühle herbei und bat uns sogleich einen Sitzplatz an. In dieser provisorischen Unterkunft saßen vier ältere Männer. Ich fragte sie, was sie hier genau machen würden und gleichzeitig, ob vielleicht jemand Englisch spräche. Leider sprach keiner auch nur ein einziges Wort Englisch und ich verstand, dass sie hier als „vergessene Veteranen des Falklandkrieges“ demonstrierten. In diesem Moment wünschte ich mir so sehr, dass mein Spanisch besser wäre, um noch mehr Hintergründe zu erfahren. Die Geschichten dahinter hätten mich brennend interessiert. Ich fragte die Männer, ob die Regierung Probleme damit hätte, dass sie hier demonstrierten, schließlich war ihre Behausung nicht gerade klein errichtet. Nein, die hätten damit kein Problem, war die Antwort. 


Plötzlich kam mir dann in den Sinn, weil das Polizeiaufgebot rund um die Plaza heute weitaus größer war als ich es von vorherigen Besuchen kannte, dass es vielleicht doch besser wäre, bald zu gehen. Meine Phantasie blühte plötzlich rege auf und ich stellte mir vor, der Platz wird geräumt und wir zwei Touris ganz unbedarft mittendrin. Nicht auszudenken, wenn wir dann am Abend in einer der Nachrichten über den heimischen Bildschirm geflimmert wären … ich befürchte, in diesem Fall hätte ich den Titel des Reiseberichtes umbenennen müssen, denn den Spuren Sir Ernest Shackletons hätten wir wohl nicht mehr folgen können, und es wären weitere Zodiac-Plätze frei geworden. 


So schnell wie der Regen gekommen war, so schnell ließ er nach. Wir bedankten uns bei den Herren, dass sie uns Schutz vor dem Nass gewährt hatten. Nach einer herzlichen Verabschiedung verließen wir den Platz. 


Meine Phantasie war tatsächlich etwas mit mir durchgegangen, denn diese Behausung stand auch noch an der gleichen Stelle, als wir mehr als zwei Wochen später wieder in der Stadt waren.



Auch heute erzielte ich einen weiteren Punkt gegen Mr. Seasick. 


Mr. Seasick – ich = 0:2 


Tag 5 – Tag auf See mit Kurs auf Südgeorgien

Windstärke: 4 - 5

Seestärke: 2 - 3

Temperatur: bis 27° Celsius, wechselhaft

Sonnenaufgang: 05:43 Uhr, Sonnenuntergang: 19:55 Uhr


Das Ablegen in Buenos Aires war für 01:00 Uhr nachts geplant. So stellten wir unseren Wecker, um dieses Schauspiel, das für uns als Kreuzfahrt-Neulinge etwas Besonderes versprach, live mitzuerleben. Der Wecker klingelte pünktlich und wir standen auf. 


Es standen zwar einige Männer am Pier, aber leider tat sich nicht sonderlich viel. Nach einiger Zeit ging ich dann an die Rezeption und fragte nach, wann wir ablegen würden. Ich bekam zur Auskunft, dass man noch auf die Gäste wartete, die den Tagesausflug nach Iguazu gemacht hätten. Man wisse nicht genau, wann sie jetzt eintreffen würden, die Maschine hätte Verspätung. Eigentlich hätten sie schon vor 2 bis 3 Stunden wieder auf dem Schiff sein müssen. Wir liefen noch ein wenig auf Deck umher, nur wenige andere Gäste waren ebenfalls aufgestanden, auch sie warteten auf das Ablegemanöver. So kamen wir ins Gespräch mit einem sehr netten Paar aus Hamburg, mit dem wir im Verlauf der Reise zusammen mit unseren Tischnachbarn unsere eigene kleine Gruppe bildeten. Wir sechs waren alle mehr oder weniger im selben Alter und beschlossen recht schnell, uns gemeinsam als Gruppe für die Zodiac Ausflüge anzumelden. 


Einige Zeit schauten wir noch in den Nachthimmel über Buenos Aires immer in der Hoffnung, dass wir ein Flugzeug sehen würden, so wie wir sie tagsüber mehrmals beim Landeanflug auf den innerstädtischen Flughafen Aeroparque über uns hinweg flogen sahen - aber leider nichts. Ich fragte mich, ob es hier ein Nachtflugverbot gäbe und wann wir in diesem Fall wohl ablegen würden. Unser Zeitplan mit den Anlandungen war sicherlich strikt vorgegeben. Na ja, nützte jetzt alles nichts und so legten wir uns wieder hin. 


Gegen 03:30 Uhr nachts wurde ich von einem Geräusch wach. Nur gut, dass unsere Kabine direkt auf dem Bootsdeck lag, so war ich ganz schnell draußen, um zu sehen, ob sich etwas tat und tatsächlich, am Pier herrschte Gewusel. Eilig machte ich meinen Mann wach und wir beide gingen nach draußen, um das Ablegen mitzuerleben. Irgendwann in der Zwischenzeit mussten die Ausflügler aus Iguazu eingetroffen sein. Sie hatten auf jeden Fall einen ziemlich langen Tag hinter sich. Wir hatten uns gegen diesen Ausflug entschieden, da ich die Fälle schon zweimal, allerdings immer für länger als einen Tag, besucht hatte. 


Die Skyline von Buenos Aires wirkte imposant, noch um diese Zeit strahlten viele Lichter aus den Hochhäusern, besonders um den Bereich des Puerto Madero. Bei meiner ersten Reise vor vielen Jahren befand sich dieser Bereich gerade im Um- und Aufbau. Damals schien dort vieles verlassen zu sein, jetzt hingegen wirkte er modern und ist sehr angesagt. 


Ich verspürte eine große Vorfreude, als wir langsam ablegten und uns unserem nächsten Ziel nähern würden, wo wir das nächste Mal Festland betreten sollten. Auf nach Südgeorgien, ins Reich der Königspinguine!


Leider hatten wir, besser gesagt ich, ab jetzt einen ständigen Begleiter, den ich nicht recht abschütteln konnte. Der Name dieses aufdringlichen Kerls lautet Mr. Seasick.



Am frühen Morgen fand die obligatorische Seenotrettungsübung statt, und ich hoffte inständig, dass wir unser hier erworbenes Wissen nicht zur Anwendung bringen werden müssen. 

Tagsüber verbrachten wir immer wieder mit Beobachtungen an Deck und besuchten zudem einen interessanten Vortrag über die Vogelwelt des Südpolarmeeres. Ab heute gab es jeden Tag verschiedenste Vorträge des hervorragenden Lektorenteams im Grand Salon. Leider hatte der Grand Salon einen großen Nachteil, es schaukelte ziemlich und die Luft war in diesem Raum sehr schlecht, sodass ich nicht so viele Vorträge habe besuchen können, wie ich unglaublich gerne hätte. Aber die Spucktüte der Lufthansa, die jetzt immer an der Frau war, wollte ich auch nicht unbedingt füllen … diese Freude wollte ich Mr. Seasick nicht gönnen.


Abends fand der Kapitänsempfang statt, um den wir einen Bogen machten, nachdem wir festgestellt hatten, dass sich eine lange Schlange bildete, um dem Kapitän die Hand zu schütteln. Darauf hatten wir so gar keine Lust, sodass wir währenddessen nach draußen gingen und noch frische Seeluft genossen. Hier trafen wir dann auch wieder das Hamburger Paar, die sich - wie wir - entschlossen hatten, lieber hier draußen noch ein wenig aufs Meer zu schauen. Gemeinsam gingen wir dann anschließend zum Gala-Dinner – ohne besonderen Kleidungszwang. Im Programm stand: „sportlich elegant“, was den einen oder anderen aber nicht davon abhielt, sich in große Robe zu hüllen … was ein Smoking mit sportlich elegant zu tun hat, erklärt sich mir nicht. 


Den Tag habe ich alles in allem ganz gut mit Reisetabletten überstanden und vergebe ein Unentschieden zwischen Mr. Seasick und mir.


Mr. Seasick – ich = 1:3 


Tag 6 – Tag auf See mit Kurs auf Südgeorgien

Windstärke: 4 - 5

Seestärke: 2 - 3

Temperatur: bis 19° Celsius, teils heiter, teils wolkig

Sonnenaufgang: 06:13 Uhr, Sonnenuntergang: 20:56 Uhr


Die Temperaturen gingen etwas herunter, aber in der Sonne war es immer noch angenehm warm, teilweise war es sogar über die Mittagszeit heiß. Leider fühlte ich mich nicht so wohl, sodass ich leider keinen der Vorträge mitnehmen konnte im sehr wackeligen Grand Salon. So verbrachten wir den Tag mit Beobachten an Deck, wo es mir an der frischen Luft besser ging, das Ganze nur unterbrochen von Nahrungszufuhr im Restaurant … schließlich hatte ich gelesen, dass der Magen bei Seekrankheit Arbeit braucht. 


Immer mal wieder flogen Seevögel am Schiff vorbei und wir sind begeistert, als wir bereits den einen oder anderen Albatros und Riesensturmvogel sichten können. 

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Highlights für uns waren jedoch, allerdings meist in einiger Entfernung, viele Fontänen, deren Verursacher wir noch nicht richtig zu Gesicht bekommen konnten, noch nicht ... 


Von Tag zu Tag reduzierte ich langsam die Menge an Reisetabletten, so wie es mir der Mediziner empfohlen hatte. Obwohl wir keinen außergewöhnlich starken Seegang hatten, ganz ohne wäre es heute leider wieder nicht gegangen, aber ich hielt tapfer gegen meinen penetranten Mitreisenden, Mr. Seasick. Hilfreich war auf jeden Fall für mich der Aufenthalt an der frischen Luft. Auch dieser Tag neigte sich mit einem Unentschieden dem Ende zu.


Mr. Seasick – ich = 2:4 


Tag 7 – Tag auf See mit Kurs auf Südgeorgien

Windstärke: 5

Seestärke: 4 - 5

Temperatur: bis 17° Celsius, teils heiter, teils wolkig

Sonnenaufgang: 04:39 Uhr, Sonnenuntergang: 20:54 Uhr



Ein weiterer Tag auf See, der Weg nach Südgeorgien ist weit, sehr weit … aber wird er sich auch lohnen? Diese Frage werde ich bald beantworten können. 


Meine Vorfreude steigt ins Unermessliche, zudem haben wir es doch deutlich komfortabler und wärmer als Sir Ernest Shackleton mit seinen fünf Gefährten in dem winzig kleinen Boot auf ihrer Überfahrt von Elephant Island nach South Georgia. Auch Mr. Seasick kann mir meine Vorfreude nicht verderben, heute hält er sich zurück, obgleich er nicht, wie ich gerne hätte, ganz verschwindet. 


Den Tag verbringen wir ähnlich wie den vorherigen, allerdings nehmen die Tiersichtungen zu unserer großen Freude zu. Viele Seevögel, darunter auch hin und wieder ein Albatros, geben sich ein Stelldichein und – wie wunderbar – erhaschen wir den Blick auf den einen oder anderen Wal.


Abends sitzen wir noch gemütlich in der Delphin Bar mit dem Paar aus Hamburg. Wir freuen uns darüber, so eine nette Bekanntschaft gemacht zu haben. 


Da ich heute tapfer durchgehalten habe, verbuche ich den Tag als Punkt für mich.


Mr. Seasick – ich = 2:5


Tag 8 – Tag auf See mit Kurs auf Südgeorgien, antarktische Konvergenz

Windstärke: 4

Seestärke: 4

Temperatur: bis 13° Celsius, wechselhaft

Sonnenaufgang 05:01 Uhr, Sonnenuntergang: 20:55 Uhr


Der letzte Seetag, bevor wir Südgeorgien erreichen. 


Verschiedene Inseln im Südpolarmeer und die Antarktis dürfen überhaupt nur von uns betreten werden, wenn man das IAATO-Briefing absolviert hat und anschließend mit Unterschrift bestätigt. Wer an dieser Schulung nicht teilnimmt, darf definitiv an keinen Landgängen in Südgeorgien und der Antarktis teilnehmen. 


Dieses Pflicht-Briefing zusammen mit dem Zodiac-Briefing stand heute auf dem Programm – zu meinem Leidwesen im Grand Salon. Na ja, ich würde es hoffentlich durchstehen, aber die Spucktüte musste natürlich mit, sie gab mir ein wenig Sicherheit. 


Neben den bereits auf den Kabinen vorhandenen großen Schwimmwesten erhielten wir nun extra für die Zodiac-Fahrten spezielle, kleinere blaue Schwimmwesten, die sich dann – hoffentlich – beim Hineinfallen ins Wasser aufpumpen würden. Wobei, nach kurzem Überlegen dachte ich mir dann, falle ich in Wasser, das gerade mal 2° Celsius „warm“ ist, müsste ich schon ziemlich schnell wieder herausgezogen werden, um das zu überleben. Kate und Leonardo haben es uns allen deutlich vor Augen geführt, dass man darin nicht lange überlebt, wenn keine Tür in Reichweite ist … ja, und wo soll diese herkommen, wenn man aus dem Zodiac fällt? So hatte ich also ein Ziel für die Zodiac-Fahrten: Niemals aus dem Zodiac fallen!!!


Die Einweisung fand ich sehr interessant, und ich finde es sehr gut, diese als Pflicht vorauszusetzen, denn so wird noch einmal zusätzlich darauf aufmerksam gemacht, wie empfindlich das Ökosystem unseres Reisezieles ist. Je länger ich darüber nachdenke, desto sinnvoller fände ich eine solche Pflichtschulung auch für das eine oder andere Reiseziel. 


So erfuhren wir unter anderem, wie wir uns genau kleiden mussten. Schuhe mit Klettverschluss sind ein No-Go, weil man so Samen, Keime von Pinguinen und Ähnliches aus-/einführen bzw. von einer in die andere Pinguinkolonie schleppen kann. 


Somit würden also endlich die Gummistiefel zum Einsatz kommen und wir würden bis zu unserer Ankunft auf Feuerland kein Land mehr ohne Gummistiefel betreten. Die gefütterte Hose und die Regenhose sind über den Gummistiefeln zu tragen, um bei den Nassanlandungen nicht plötzlich Auftrieb zu bekommen und damit der Gefahr ausgesetzt zu sein, dass Wasser in die Stiefel läuft. Vor dem ersten Landgang auf Südgeorgien, aber auch später vor dem ersten Betreten der Inseln des 6. Kontinentes, würden wir, unsere Rucksäcke sowie unsere Ausrüstung gründlich „abgesaugt“ werden. Vor Verlassen des Schiffes und nach Rückkehr würden wir mit unseren Schuhen durch Desinfektionsbäder gehen müssen, bei Rückkehr aufs Schiff würden dann zusätzlich Füße und Beine „abgeduscht“. Im Anschluss wird es „Überzieher“ für die Stiefel geben, die bis zum nächsten Landgang über den Stiefeln verbleiben müssen. 


Darüber hinaus gab es weitere Verhaltensregeln. So werden wir nur Pfade und Wege entlang laufen dürfen, die zuvor von Lektoren gekennzeichnet wurden bzw. uns nur in den Bereichen frei bewegen dürfen, die freigegeben wurden. Das würde (und wurde auch!) später strikt überwacht. Außerdem dürften wir uns Pinguinen nur auf 5 Metern sowie Robben, Seeelefanten etc. nur auf 15 Metern nähern. Ach ja: Da die Tiere das IAATO Briefing nicht absolviert haben, fühlten sich nicht an diese Regelung für Mindestabstände gebunden, wie wir später feststellen werden.


All diese Maßnahmen, die ich sehr einleuchtend und vernünftig finde, dienen dem Schutz dieses einzigartigen Gebietes. 


Da wir uns nicht für eine Erholungsreise entschieden haben, ging es im Anschluss gleich weiter mit der Zodiac-Schulung. Ganz genau wurde erklärt, wie das Einsteigen und Aussteigen zu erfolgen habe, wie die Griffe an die Arme der Helfer anzulegen sind, um bestmöglichen Schutz zu haben und dass man beim Aussteigen im Sitzen (!) auf dem Rand des Zodiacs nach vorne robben und sich dann mit dem Rücken zum Land drehen muss, dann ist genau darauf zu achten, wann eine Welle kommt, usw. usw. usw. 


Zum Abschluss erfolgte noch die Einteilung in eine der vier Gruppen für die Anlandungen. Wir würden unsere Landgänge unter der Gruppenfarbe Gelb durchführen.


Alles in allem wurden die Inhalte der Briefings sehr professionell und zudem ausgesprochen humorvoll vermittelt. 

Damit war der Vormittag nahezu um und nach dem Mittagessen gingen wir wieder nach draußen. Die Temperaturen sinken an diesem Tag merklich und zwar innerhalb kürzester Zeit. Der Grund dafür war, dass wir die antarktische Konvergenz überfahren. Dieses Gebiet verläuft unregelmäßig zwischen dem 50. und dem 60. Breitengrad in jeweils einer ungefähren Breite von 50 bis 100 km. Hier treffen die kalten Wassermassen der Antarktis auf die etwas wärmeren aus dem Norden. Es muss unglaublich viel Krill im Wasser gewesen sein, denn wir sahen sehr viele Wale, alleine dieses Schauspiel war es schon wert, es mit Mr. Seasick aufzunehmen. Als i-Tüpfelchen sahen wir einen Seiwal, diese Walart erreicht eine Größe von ca. 15 bis 16 Metern und als absolutes iii-Tüpfelchen einen Cuvir-Wal (Größe ca. 5 bis 8 Meter), der zur Familie der Schnabelwale gehört. Eine absolute Glückssichtung! Diese Schnabelwale sind noch nicht sonderlich gut erforscht und werden selten gesichtet.


Morgen sollte es dann soweit sein: Südgeorgien, die Insel, von der viele dachten, denen ich von davon erzählte, sie läge bei Russland … die Insel mit einer Tierwelt, von der ich vor vielen Jahren einen Bericht im Fernsehen sah und die sich seitdem so in meinem Kopf festgesetzt hatte. Allerdings war ich mir nie sicher, ob ich mir diesen Reisetraum einmal erfüllen würde können. Aber nun sollte es morgen soweit sein … Meine Vorfreude wuchs und wuchs, aber sollte es auch so werden, wie ich es mir vorstellte?


Ach ja, ihn hätte ich fast vergessen: Mr. Seasick --- ja, leider war er auch heute wieder da und hatte sich zwischendurch immer mal bemerkbar gemacht. Er buhlte regelrecht um Aufmerksamkeit. Allerdings gebe ich mir den heutigen Punkt, wenn auch nur knapp nach Verlängerung und Elfmeterschießen.


Mr. Seasick – ich = 2:6

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„Wer die Abenteuerlichkeit des Reisens ins Blut bekommt, wird diese nicht wieder los.“   - Bruno H. Bürgel

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